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Filmkritik zu „Alles anders machen. Das kurze Leben der Ost-taz”

Eine rbb-Dokumentation über ein vergessenes Stück deutscher Zeitungsgeschichte.

Der Berliner Regisseur und ehemalige taz-Bildredakteur Michael Biedowicz hat für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) ein skurriles Stück gesamtdeutscher Zeitungsgeschichte ausgegraben und verfilmt. Ehemalige und heutige taz-Genoss:innen erinnern sich in dieser Dokumentation an die kurze Blüte der „taz ddr“.

Eine Frage an die ältere Zeitungsleserschaft: Erinnern Sie sich an die Ost-taz? Nein? Nicht schlimm! Dann geht es Ihnen wie den Medienprofis Giovanni di Lorenzo, Friedrich Küppersbusch, Ulrich Jürges und Hajo Schumacher. Keiner dieser langjährigen Macher (west-)deutscher Mediengeschichte hatte den Ostableger der linken Tageszeitung auf dem Schirm. Bis ihnen Regisseur und Ost-taz-Gründungsmitglied Michael Biedowicz beim Interview einen voluminösen grünen Sammelband – Hammer und Sichel auf dem Umschlag – auf den Tisch legte. Darin enthalten waren alle Ausgaben eines der exotischsten Projekte gesamtdeutscher Mediengeschichte: der Ost-taz bzw. der taz ddr, wie sie damals offiziell hieß.

Die Geschichte des nur dreimonatigen Zeitungsexperiments (zwischen Februar und Juni 1990) hat Biedowicz in der rbb-Doku „Alles anders machen. Das kurze Leben der Ost-taz” verarbeitet.

Eine linke Geschäftsidee

Die Geburt der taz ddr war zunächst einmal ein unternehmerischer Coup. Die West-Redaktion war gerade vom Wedding in das alte Berliner Zeitungsviertel um die damalige Koch- und heutige Rudi-Dutschke-Straße umgezogen, als ein findiger Genosse der finanziell chronisch klammen Tageszeitung eine staatliche Goldgrube entdeckte: Wer damals in der DDR eine Zeitung auflegte, dem wurde die komplette Ausgabe zunächst vom DDR-Postzeitungsvertrieb abgekauft, bevor sie in den Vertrieb ging. In dem speziellen Fall wurde sogar in Westwährung gezahlt. Diese mirakulöse staatliche Voll- und Vorfinanzierung war möglicherweise ursprünglich dazu gedacht, linientreue Medien wirtschaftlich abzusichern – jetzt sollte sie helfen, ein kleines, zudem noch aus dem Westen initiiertes Oppositionsblatt zu unterstützen.

Folglich puzzelten im Januar 1990 Menschen aus West und Ost gemeinsam und via Mundpropaganda eine Redaktion zusammen. Eingestellt wurden Kunst- und Medienschaffende sowie Studierende – die wenigsten mit Zeitungserfahrung, aber alle irgendwie der gesellschaftlichen Opposition zuzuordnen. Dazu gehörten unter anderem der (heutige) Radio- und Theatermacher Jürgen Kuttner als Geschäftsführer, Rowohlt-Autor André Meier als Chefredakteur und Regisseur Michael Biedowicz als Bildredakteur. „Man bekam einen Zettel in die Hand gedrückt und es hieß ,Ruf mal den Kuttner an, die wollen eine Zeitung aufbauen‘ “, erinnert sich die damalige taz-Ost-Redakteurin und heutige Unternehmenssprecherin Anja Baum, die für das Zeitungsexperiment ihr Studium hinschmiss, im Film.

Jürgen Kuttner im Februar 1990 bei einer kleinen improvisierten Feier zur ersten Ausgabe der Ost-taz in den Redaktionsräumen Oberwasserstrasse 12 (heute Sitz des Auswärtigen Amtes). © IT WORKS! Medien GmbH

West oder Ost?

Dass die West-taz ihre DDR-Redaktion mit dem Segen und der Unterstützung von Lothar Bisky, damals im SED-Vorstand, in Büros der SED einquartierte, stieß den Ost-Kolleg:innen bitter auf, störte die Pragmatiker in der Kochstraße aber nicht weiter. Bei einer Pressekonferenz fragte der damalige stellvertretende DDR-Ministerpräsident Peter-Michael Diestel anwesende Journalist:innen: „Seid ihr von der West-taz oder von unserer?“ Solche Vereinnahmungen kollidierten mit dem oppositionellen Selbstverständlich der ostdeutschen Genoss:innen und lösten erste Konflikte aus, denen bald weitere und dramatischere folgen sollten.

Inhaltlich sollte die taz-Ost eine Mischung aus „eingeosteten“ Weststücken und eigenen Beiträgen werden. Doch auch darüber gab es bald Streit. Als die Ost-Kolleg:innen einen Aufmacher über „Ost-Gemüse zu West-Preisen“ brachten, taten die West-taz-Angehörigen das als inhaltlich marginal ab: „Preispolitik hat die Leute im Osten interessiert“, beharrt Jürgen Kuttner im Film. „Das fiel doch eher in diese blöde Bananenberichterstattung“, kritisiert die damalige Ex-Chefredakteurin Georgia Tornow in einem dagegen geschnittenen Interviewschnipsel. West-tazler wie Max-Thomas Mehr beäugten die Mitarbeitenden aus dem Osten zudem misstrauisch: „ …weil wir uns im Unterschied zu manchen DDR-Kollegen eher als Journalisten begreifen und weniger als Politiker“, wie er im Film sagt.

Von der Kontroverse zum Eklat

Solche Kontroversen, die typisch waren für die Wendezeit, werden in „Alles anders machen“ noch einmal lebendig. Biedowicz vergewissert sich ihrer immer wieder, in kurzen Interviewschnipseln mit den ehemaligen Weggefährt:innen, aber auch in seinem sehr authentischen und ehrlichen selbstreflexiven Off-Kommentar. Er montiert die Interviews geschickt zu einem spannenden Porträt einer schwierigen Zweckehe. Und es gelingt ihm, die unterschiedlichen Mindsets herauszuarbeiten, die den damaligen Arbeitsalltag des Projekts prägten. „Für die Westkollegen war die richtige Weltanschauung entscheidend. Ich aber wollte mich von allen Weltanschauungen befreien“, erinnert er sich im Off. Auch die rabiate Art und Weise, wie in der Kochstraße gestritten wurde, überraschte und schockte die aus der DDR stammenden Mitarbeitenden: „So hatten wir nie gestritten“, wundert sich Ost-tazler Dirk Branke im Film noch heute.

Einen größeren Eklat verursachte dann aber der Entschluss einiger Angehöriger der West-taz, eine vollständige Liste aller Stasi-Adressen im Osten zu drucken und kostenlos auf dem Alexanderplatz an die Passant:innen zu verteilen (Headline: „Heimatkunde – die unendliche Liste aller Stasi-Objekte“). Die Ost-Redaktion lehnte das aus verschiedenen Gründen ab. Einige, weil sie durch die Veröffentlichung ausgelöste Übergriffe befürchteten. Andere, weil sie Bedenken hatten, dass damit Mitläufer:innen außerhalb der Stasiapparats entlastet werden könnten. „Unser Stasistreit hinterließ auf beiden Seiten offene Wunden“, erinnert sich Biedowicz.

Diese Auseinandersetzung versetzte dem Projekt einen entscheidenden Schlag. „Wir hatten das Gefühl, dass unser gemeinsames Zeitungsprojekt damit zu einem Ende gekommen war“, sagt Michael Biedowicz im Off. Zudem entzog das Auslaufen der Vorfinanzierung über den pauschalen Postzeitungsvertriebsdeal dem Projekt im Juni 1990 die Finanzierung.

Das verlegerische Fazit

Die dreimonatige deutsch-deutsche Zeitungsehe „war für die West-taz kein publizistischer, aber ein finanzieller Erfolg, der jedoch schamhaft verschwiegen wurde“, bilanziert Biedowicz. Und er fügt hinzu: „Unser Erfolg dagegen lag auf der persönlichen Ebene.“

Tatsächlich schwärmen alle ostdeutschen Protagonist:innen im Film von der intensiven Zeit bei der Ost-taz und der wegweisenden Bedeutung, die diese Episode für ihr weiteres (Berufs-)Leben hatte. Einige wechselten in die West-Redaktion und sind heute noch dort, andere haben inzwischen Karrieren bei anderen Medienmarken gemacht: Der Regisseur Michael Biedowicz etwa als Bildredakteur beim ZEITmagazin, der damalige Ost-taz-Redakteur Dirk Branke als stellvertretender Leiter Test und Technik bei AUTO BILD, Caroline Bofinger als Grafikerin bei taz sowie Le Monde diplomatique und Herausgeberin von Comic-Bänden.

Die Dokumentation

Biedowicz baut seine Geschichte der Ost-taz zunächst einmal sehr konventionell zusammen, mit vielen Talking Heads und wenig überraschenden Zwischenschnitten für den Off-Kommentar. Er verzichtet weitgehend auf visuelle und erzählerische Effekte. Auch der Director of Photography (DoP) Bernd Fischer, bekannt von „Babylon Berlin“, stellt seine Bilder ganz in den Dienst der schnörkellosen Darstellung.

Trotzdem vermittelt „Alles anders machen“ in seinem knappen, nur 45-minütigen Feature-Format viele überraschende, interessante Einblicke und Innenansichten eines Landes und seiner Medienlandschaft im Umbruch. Und die Doku macht wegen ihres rasanten Tempos, des lakonisch-trockenen Erzähltons der Protagonist:innen und der pointierten Montage jede Menge Spaß beim Ansehen. „Alles anders machen“ rettet ein Stück deutscher Mediengeschichte vor dem Vergessen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Alles anders machen: Das kurze Leben der Ost-taz
Regie, Buch und Sprecher: Michael Biedowicz
Buch und Produktion: Annekatrin Hendel
Bildgestaltung: Bernd Fischer (BVK), Montage: Max Mertens
Redaktion: Jens Stubenrauch
Eine Gemeinschaftsproduktion von Rundfunk Berlin-Brandenburg und IT WORKS MEDIEN
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Laufzeit: 45 Min.
Mit: Jürgen Kuttner, Kalle Ruch, Giovanni di Lorenzo, Hans-Ulrich Jörges, Friedrich Küppersbusch, Hajo Schumacher, Arno Widmann, Georgia Tornow, Anja Maier u.v.a.

Die Dokumentation tourte durch diverse Festivals, wurde am 25.10.2023 vom rbb erstausgestrahlt und ist derzeit in der ARD-Mediathek zu sehen. Zudem wird der Film am 7. November 2023 um 22:10 Uhr im MDR gezeigt.


© Eberhard Kehrer

Der Autor Gunter Becker schreibt seit Beginn der 1990er Jahre als freier Autor über elektronische Medien, Internet, Multimedia und Kino Anfangs für die taz, dann für den Tagesspiegel und im neuen Millennium vorwiegend für Fachmagazine, wie ZOOM und Film & TV Kamera. Für das verdi-Magazin Menschen Machen Medien verfolgt er die Entwicklung nachhaltiger Filmproduktion, die Diversität in den Medien und neue Medienberufe.

 

Kommentare
  1. Calvero sagt:

    Spannendes Thema, der Film ist wirklich sehenswert. Er irritiert aber mit der Einstiegsidee, bei prominenten Westjournalisten vorstellig zu werden und deren Reaktion auf die Ost-taz zu filmen. Die eine Edelfeder heißt übrigens Hans-Ulrich Jörges.

    War dieser West-Spin wirklich nötig, um das Projekt finanziert zu bekommen? Es wirkt nur peinlich und kratzbuckelig. Wen juckt es, dass die sich daran nicht erinnern und nun ein wenig Westler-Lob verteilen? Wenn denn schon, hätte es doch zig relevante Akteure der Wendezeit gegeben, die man dazu als Zeitzeugen hätte vor die Kamera holen können.

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