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Filmkritik zu „Zodiac“: Die Medienwirksamkeit eines Rätsels

In seinem düsteren Krimidrama Zodiac – Die Spur des Killers (2007) zeichnet David Fincher die mediale Obsession mit einer bis heute unaufgeklärten Mordserie nach.

Bis heute ist der Serientäter, der ab Ende der 1960er-Jahre die Gegend um San Francisco mit mindestens fünf Morden in Angst und Schrecken versetzte, ein Rätsel geblieben – ein Rätsel namens „Zodiac“. So nannte sich der Mann in den mit codierten Botschaften versehenen Briefen, die er im Anschluss an seine Taten an die Tageszeitungen in der Region schickte und mit einem Fadenkreuz-Symbol unterzeichnete. Die Veröffentlichung dieser Briefe und die Tatsache, dass der Täter nie gefasst wurde, haben den Zodiac-Fall im öffentlichen Gedächtnis über Jahrzehnte konserviert und einiges an fiktionalen und spekulativen Werken nach sich gezogen.

Daraus ragten die True-Crime-Bücher „Zodiac“ (1986) und „Zodiac Unmasked“ (2002) von Robert Graysmith besonders hervor. Zum einen war Graysmith als Karikaturist Redaktionsmitglied der Tageszeitung San Francisco Chronicle, als diese die Briefe des Zodiac erreichten. Zum anderen gingen Graysmiths Büchern jahrelange intensive Recherchen zu den Tathergängen und den Verdächtigen voraus, für die er auf Insiderinformationen aus Ermittlerkreisen zurückgreifen konnte. Diese beiden Bücher bildeten 2007 die Grundlage für David Finchers viel beachtetes Krimi-Drama Zodiac – Die Spur des Killers. In fast schon dokumentarischem Stil zeichnet dieser Film die nervenaufreibende Suche nach dem Täter ab Ende der 1960er- bis in die 1990er-Jahre nach und richten den Blick dabei insbesondere auf die mediale Verstrickung in den Fall.

Ein Mörder macht sich zum Mysterium

Dieser mediale Fokus wird schon an den Einstiegsszenen deutlich, die bewusst nicht etwa den ersten Zodiac angelasteten Doppelmord zeigen, sondern bei der zweiten Tat einsetzen: Im kalifornischen Örtchen Vallejo überfällt ein Fremder eines Nachts eine junge Frau und ihren Bekannten in ihrem an einem Abhang parkenden Auto und schießt sie kaltblütig nieder. Während beide Opfer noch um ihr Leben ringen (der junge Mann überlebt schließlich), informiert der Täter telefonisch die örtliche Polizei über den von ihm verübten Mord und nimmt auch noch einen ähnlichen, ein Jahr zurückliegenden Doppelmord in der Gegend für sich in Anspruch – noch bevor die Ermittler überhaupt Verbindungen zur vorangegangenen Tat herstellen konnten.

Dass seine zunächst an jungen Opfern verübten Taten eine Mordserie darstellen, übermittelt er auch in den Briefen, die einen Monat später die Tageszeitungen San Francisco Chronicle, San Francisco Examiner und Vallejo Times Herald erreichen. „Dringend an den Chefredakteur“ prangt in betont simpler Schrift auf dem Briefumschlag, den die Kamera in Zodiac auf dem Weg vom Postfahrzeug bis in die Redaktionskonferenz des San Francisco Chronicle begleitet. Der Täter hat eine mit unbekanntem Zeichencode chiffrierte Botschaft mitgeschickt, die auf dem Titelblatt erscheinen soll – sonst, so seine Drohung, würde es am Wochenende ein Dutzend Tote geben. Das sich hieraus ergebende journalistische Dilemma wird zwischen dem Chefredakteur und dem Herausgeber in der Folgeszene rege diskutiert – man möchte diesem „kranken Idioten“ weder ein Forum geben noch einen „gefährlichen Präzedenzfall“ mit der Veröffentlichung schaffen, aber auch nicht hinter den Konkurrenzblättern hinterherhinken und auf eine öffentlichkeitswirksame Story verzichten. Hochinteressiert verfolgt wird diese Diskussion vom Karikaturisten Robert Graysmith (Jake Gyllenhaal), den der Zodiac-Fall ebenso wie seinen Redakteurskollegen Paul Avery (Robert Downey Jr.) die kommenden Jahre über beschäftigen wird. Die ethischen Bedenken gegen eine Veröffentlichung werden von den Zeitungsmachern schließlich beiseite gewischt und die codierten Botschaften veröffentlicht, wenn auch nicht auf der Titelseite.

Noch viel eher als die Morde erscheint diese redaktionelle Entscheidung Ausgangspunkt und Taktgeber für den weiteren Verlauf von Zodiac zu sein. Die Veröffentlichung der codierten Botschaften zieht aufwendige Entschlüsselungsversuche nach sich, weitere Briefe sorgen für Ausgangssperren und Debatten in Radiosendungen, an die uns der Film teilhaben lässt – die Angst verbreitet sich in und um San Francisco herum und ist auf die veröffentlichten Drohgebärden eines Mannes zurückzuführen, der nach eigener, schließlich dechiffrierter Aussage aus Spaß Jagd auf Menschen macht. Die kaltblütigen Folgetaten des Mörders werden in Zodiac zwar auch gezeigt, aber nicht wie in einem Thriller inszeniert, sondern vielmehr in die düstere, mitunter trostlose Sachlichkeit eines auf den Ermittlungsverlauf fokussierten Dramas integriert.

Dies hätte man damals nicht unbedingt von Regisseur David Fincher erwartet. Schließlich wurde er mit seinem Thriller Sieben (1995) einem größeren Publikum bekannt – einem Film, der sich in grausigen, vielfach zitierten („Was ist in dem Karton?!“) Details einem fiktiven Serienmörder gewidmet hatte. Mit den realen Begebenheiten, auf denen Zodiac beruht, ergab sich für Fincher aber anscheinend auch eine Verantwortung, die sich zum einen in einer Zurückhaltung bei den Mordszenen ausdrückte: „Wenn ich Mordszenen nachstellen will, will ich nur die Fakten. Ich bin nicht an Lüsternheit interessiert.“ Zum anderen äußerte sich sein Respekt vor den realen Begebenheiten darin, dass er das von James Vanderbilt (Der Moment der Wahrheit) verfasste und auf Robert Graysmiths recherchierten Fakten beruhende Drehbuch einer Revision unterzog: „Für alles, was wir in den Film aufgenommen haben, haben wir das, was Robert uns gegeben hat, verwendet. Aber wir hatten auch Polizeiberichte und untermauerten alles mit Unterlagen unserer eigenen Befragung und Beweisen. Selbst wenn wir unsere eigenen Interviews führten, sprachen wir mit zwei Personen. Der eine bestätigte einige Aspekte, der andere leugnete sie. […] wenn es irgendwelche Zweifel gab, haben wir uns immer an die Polizeiberichte gehalten.“

Kooperation bis zur Kompetenzüberschreitung

Diese aufwendige Faktenorientierung ist Zodiac anzumerken, etwa in den nach jeder längeren Sequenz erfolgenden Einblendungen von Ort und verstrichener Zeit, in der detailorientierten, den stetigen Zeitenwandel widerspiegelnden Ausstattung von Redaktionsräumen und Polizeiwachen und schließlich in den vielen sorgsam nachgezeichneten Einzelheiten und kuriosen Entwicklungen im Ermittlungsverlauf.

Dieses dichte Plotgewebe lässt bald erkennen, wie die mediale Berichterstattung und die Polizeiermittlungen aufeinander einwirken: Nach dem von Zodiac verübten Mord an einem Taxifahrer in San Francisco nehmen die Inspektoren Dave Toschi (Mark Ruffalo) und Bill Armstrong (Anthony Edwards) die Ermittlungen auf und müssen sich nicht nur mit den Behörden in den anderen von Zodiac-Morden betroffenen Orten verständigen, sondern auch mit dem medialen Aufruhr, der inzwischen um die Fälle entstanden ist. Die Zodiac-Briefe, die regelmäßig in der Redaktion des San Francisco Chronicle eintreffen, unterziehen sie erfolglos Fingerabdruck- und Schriftanalysen. Und als Zodiac ankündigt, in einer Fernsehsendung mit dem Star-Anwalt Melvin Belli (Brian Cox) sprechen zu wollen, sind sie im Fernsehstudio zugegen, um eine eventuelle Spur zum Täter nachzuverfolgen – und wiederum erfolglos. Noch dazu haben sie durch die Medienpräsenz des Themas Tausenden Hinweisen von Bürgern nachzugehen, die zu wissen vorgeben, wer sich hinter dem Pseudonym Zodiac verbirgt.

Mit dem Dickicht der in die Irre führenden Informationen zum Fall wächst auch die Frustration bei den Ermittlern. Zudem wird an vielen Stellen im weiteren Verlauf des Films der Vorwurf laut, dass die Presse in Zodiac einen willkommenen Auflagentreiber für sich entdeckt hat. Dies wird an der Figur des Paul Avery, Kriminalberichterstatter des San Francisco Chronicle, exemplifiziert.

Trotz seiner Faktentreue hat sich der Film hier einige dramatisierende Freiheiten mit realen Figuren erlaubt: So wird dem exzentrischen Lebemann Avery der etwas unbedarft wirkende Karikaturist Robert Graysmith an die Seite gestellt, obwohl die beiden sich nie gemeinsam mit dem Fall auseinandergesetzt haben. Die fiktive Kollaboration dient der Kontrastierung zwischen einer von Avery verkörperten journalistischen Abgeklärtheit und Graysmiths scheinbar aufrichtig-obsessivem Interesse an der Aufklärung des Falls. Als Letzterer Avery über seine Bibliotheksrecherchen zu den von Zodiac verwendeten Codes informiert, entgegnet ihm dieser: „Was ist der Clou daran? Die Sache ist für alle ein gutes Geschäft, bloß nicht für dich.“ Schließlich wird Avery aufgrund seiner Artikel zum Fall von Zodiac persönlich angeschrieben und bedroht, womit im Film sein Abstieg in die Drogenabhängigkeit beginnt. Seine übereilten, öffentlichkeitswirksamen Ermittlungen auf eigene Faust bringen ihn bald in Konflikt mit Inspektor Toschi. Dieser weist Averys Ansicht, die Medien und Ermittler seien bei der verzweifelten Suche nach dem Täter aufeinander angewiesen, brüsk zurück: „Nein, wir sitzen nicht in einem Boot, Paul, denn ich bin nicht daran interessiert, meine Auflage zu steigern!“

Investigative Obsession

So kritisch Finchers Film auch mit der Journalistenfigur Paul Avery umgeht, dient sie ihm dennoch nicht dazu, den medialen Umgang mit dem Zodiac-Fall abzuurteilen. Vielmehr stellt Zodiac sorgsam dar, welcher Stein unweigerlich ins Rollen kam, nachdem der anonyme Täter die Öffentlichkeit gefunden hat, nach der er gesucht hatte: eine investigative Obsession, die von den Medien und Ermittlern auf die Öffentlichkeit überging und nicht nur Trittbrettfahrer und Verschwörungstheoretiker auf den Plan rief, sondern auch stichhaltigere Indizien und Lösungswege nach sich zog. So wurde der erste veröffentlichte Zodiac-Code von einem Ehepaar geknackt, noch bevor die Kryptologen der NSA und CIA sich äußern konnten.

Der dritte Akt von Zodiac fokussiert schließlich nach einem Zeitsprung von vier Jahren gänzlich den Blick des Außenseiters in Gestalt von Robert Graysmith. Nachdem Avery das Interesse an Zodiac verloren hat und Toschi vom Fall abgezogen wurde, geht Robert auf eigene Faust den Spuren nach. Eine nicht ungefährliche Recherche-Obsession, die er seiner besorgten Ehefrau Melanie (Chloë Sevigny) kaum zufriedenstellend erklären kann.

Es ist eine Obsession, nach deren Ursachen auch gefragt wird, wann immer es um die anhaltende Faszination geht, die Serientäter auf die Öffentlichkeit ausüben. In einem Artikel des Magazins The Atlantic erläuterte der Kriminologe Dr. Scott Bonn einst, wie sehr die Öffentlichkeit im Fall einer Mordserie nach einer Art moralischer Führung giert, die Medien und Ermittler mit einer simplen Gut-Böse-Dichotomie beantworten und der Versicherung, dass das Gute obsiegen wird. „Was wir von den Medien und den Strafverfolgungsbehörden zurückbekommen, ist: ,Das Böse ist in unsere Stadt gekommen, aber macht euch keine Sorgen, wir werden das Böse besiegen.‘ Diese Erzählung ist in gewisser Weise beruhigend, aber sie ist auf eine Weise beruhigend, die nicht real ist“, so Bonn.

Auf betont sachliche und dabei äußerst aufwühlende Weise demonstriert Finchers Zodiac, was bleibt, wenn Medien und Ermittler nicht einmal mehr zu dieser simplen Erzählung greifen können: die medial verewigte Obsession mit einem unlösbaren Rätsel.

Zodiac – Die Spur des Killers
(Originaltitel: Zodiac)
USA 2007. 157 Min.
Regie: David Fincher
Drehbuch: James Vanderbilt
Kamera: Harris Savides
Besetzung: Jake Gyllenhaal, Mark Ruffalo, Robert Downey Jr., Anthony Edwards, Brian Cox, Dermot Mulroney, Chloë Sevigny

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=yNncHPl1UXg&ab_channel=MovieclipsClassicTrailers

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Dobrila_KonticDobrila Kontić, M.A., studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK). Sie betreibt das Onlinemagazin culturshock.de.

 

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