Gendern im Fachjournalismus: Pro und Kontra
Zur Debatte um eine gendergerechte Schreibweise im deutschen Sprachraum.
In Österreich sorgte im Juli dieses Jahres ein offener Brief für Aufsehen. In dem an Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner gerichteten Schreiben forderten rund 800 Personen, darunter Universitätsprofessoren, Lehrer und Journalisten wie der deutsche „Zwiebelfisch“-Kolumnist Bastian Sick, „eine Rückkehr zur sprachlichen Normalität“ und schriftliche „Verunstaltungen“ wie beispielsweise das Binnen-I (wie in KollegInnen) oder Schrägstriche im Wortinneren (Journalist/innen) „wieder aus dem Schreibgebrauch zu eliminieren“. Die in Österreich neu aufgeflammte Debatte gibt Anlass zu überprüfen, in welcher Hinsicht das Gendern, also die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern, für Fachjournalisten relevant sein kann. Hierzu unterhielt sich die Autorin Friederike Schwabel mit Befürwortern und Gegnern des Gendern.
„In der Regel gendern wir nicht, das heißt, wir nennen die Geschlechter nicht doppelt und benutzen auch nicht das große I. Wir versuchen allerdings, auf geschlechterneutrale Begriffe wie ‚Studierende‘, ‚Lehrende‘ etc. zurückzugreifen“, sagt Barbara Haack, Leiterin des Musikfachverlags „ConBrio“ und Mitherausgeberin der „neuen musikzeitung“. Als Hauptgrund, der gegen das Gendern spricht, nennt sie die Lesbarkeit: „Vor allem stört uns die Störung des Leseflusses. Lesefreundlichkeit geht vor Gendern.“ Dieser Punkt ist für alle Journalisten wichtig, wenn sie für sich entscheiden, ob sie in ihren Texten gendern sollen: Akzeptieren es die Leser?
Leserakzeptanz
Das österreichische Nachrichtenmagazin „Profil“ hatte eine Umfrage zur Akzeptanz geschlechtergerechter Sprache in der Bevölkerung in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: 55 Prozent der Befragten waren für, 40 Prozent gegen gendergerechte Formulierungen. Die Zeitschrift gab deshalb im Anschluss an die Studie am 11. August 2014 eine gegenderte Ausgabe heraus, bei der die männlichen immer durch weibliche Formen ersetzt wurden, wenn beide Geschlechter gemeint waren. So war beispielsweise von Politikerinnen oder Soldatinnen statt von Politikern oder Soldaten zu lesen. Das „Experiment“, wie die Redaktion im Vorwort schreibt, sei „der – durchaus aktionistische, aber keinesfalls unernste – Beitrag von profil zur allgegenwärtigen Gender-Debatte“. Die Redaktion hat die Reaktionen der Leser zusammengetragen und ausgewertet. „Der Irritationspegel war beachtlich“, schreibt die Redaktion: Mehr als die Hälfte der klassischen Leserzuschriften, 55 Prozent, entfielen auf Männer. Zwei Drittel davon empfanden das Experiment als „überaus missglückt“, was sie zum Teil aggressiv äußerten. 72 Prozent der Leserbriefschreiberinnen hingegen reagierten positiv.
Die Reaktionen in den sozialen Medien bestätigen diesen Trend: „58 Prozent derer, die auf der Facebook-Seite von Profil den Like-Button betätigten, waren Frauen. Von den über 100 Postings, die mehrheitlich von Männern abgegeben wurden, standen indes rund 60 Prozent dem Experiment kritisch gegenüber.“ Doch auch viele Frauen stellen sich gegen das Gendern, wie etwa Postings zu journalistischen Beiträgen zum Thema geschlechtergerechtes Formulieren zeigen. Dies ist für Andrea Ernst, Vorsitzende des Journalistinnenbundes, nichts Neues: Aus Sicht des Journalistinnenbundes ist die Ablehnung der Rolle der Benachteiligten ein psychologisch motiviertes Phänomen. Die Bemühungen um das Gendern in journalistischen Beiträgen, um auch inhaltlich Gleichstellung zu forcieren, betrachtet Ernst als demokratische Notwendigkeit.
Eine allgemeingültige Aussage präsentieren mehrere repräsentative, längerfristige Studien zur Akzeptanz von geschlechtergerechter Sprache (Frank-Cyrus und Dietrich 1997, Steiger und Irmen 2007 und 2011). Sie zeigen, dass die Mehrheit der Befragten neutrale Formulierungen bevorzugt: Geschlechterindifferente Bezeichnungen werden für gerechter gehalten als die Nennung nur des Maskulinums oder beider Geschlechter.
Lesbarkeit, Einfachheit und Verständlichkeit
Neben der Akzeptanz ist die Lesbarkeit des gegenderten Textes wichtig. Zwar werden geschlechtergerecht formulierte Texte fast genauso gut verstanden wie jene, in denen das generische Maskulinum verwendet wird, wie eine Studie von 2007 belegt. Aus journalistischer Sicht stellt sich aber auch die Frage nach Klarheit und Einfachheit der Sprache und betrifft damit journalistische Grundregeln. Zerstört ein Binnen-I meinen Text? Wird mein Beitrag dadurch unlesbar? Ist die Nennung beider Geschlechter zu lang?
Hier sieht der deutsche Journalist Bastian Sick einen der problematischsten Punkte: „Ob bei der Zeitung oder im Radio: Redakteure sind meistens an eine bestimmte Zeilenanzahl oder Sendedauer gebunden. Wenn man statt von Flüchtlingen und Terroristen nun stets von Flüchtlingen und Flüchtlinginnen, von Terroristen und Terroristinnen sprechen muss, läuft einem die Sendezeit davon.“ Etwas polemisch gibt er als Negativbeispiel eine gegenderte Version einer möglichen Anleitung in einem Schulbuch: „Jede/r, der/m dazu etwas einfällt, schreibt ihre/seine Ideen auf einen Zettel und gibt ihn an ihre/ihren/seine/seinen Nachbarin/Nachbarn weiter.“
Einen Vorschlag zur Umformulierung macht die Mitherausgeberin und Redakteurin des „Missy Magazine„, Chris Köver: „Schreibt eure Ideen auf einen Zettel und gebt sie an den Nächsten oder die Nächste weiter.“ Generell sieht sie bei der Lesbarkeit und Verständlichkeit von gegenderten Texten keine Schwierigkeiten. „Es ist eher eine Frage der Kreativität“, meint sie. Auch sie findet es „nicht elegant, fünf Mal hintereinander Schülerinnen und Schüler“ zu verwenden: „Aber ich habe ja viele andere Optionen, kann Sätze umformulieren, andere Ausdrücke finden.“ Als Anreiz und Beispiel für einen besonders kreativen Umgang mit dem Gendern der Sprache nennt sie den Autor und Journalisten Dietmar Dath, der in seinen Texten schon mal von einer hypothetischen „Ingenieurin“ oder „Programmiererin“ spricht. Chris Kövers Anliegen ist es jedoch nicht, die Grenzen sprachlicher Möglichkeiten auszuloten oder etwas vorzuschreiben: „Es geht nicht darum, was man noch darf oder nicht darf in der Sprache. Es geht darum, zu erkennen, warum es eine gute Idee sein könnte, gendersensibel zu berichten. Warum das im eigenen Interesse liegt – oder im Interesse des Mediums.“
Journalistische Qualität trotz Gendern?
Der Vorwurf, dass Frauen durch die ausschließliche Verwendung des generischen Maskulinums in der Sprache unsichtbar sind, wird im (Fach-)Journalismus zur Qualitätsfrage: Reicht es, dass Frauen „mitgemeint“ sind? Fühlt sich die Leserin tatsächlich angesprochen, wenn von Mitarbeitern die Rede ist? Und der Leser, wenn von Erzieherinnen die Rede ist? Bildet man die Realität noch richtig ab?
Für Bastian Sick sind Frauen in der Sprache nicht unsichtbar: „Wer sie sehen will, kann sie überall sehen. Bei Wörtern wie ‚Kundendienst‘ oder ‚Mitarbeitergespräch‘ denke ich automatisch auch an weibliche Kunden oder weibliche Mitarbeiter.“ Er gibt auch eine „Gegenprobe“: „Beim ‚Personennahverkehr‘ denke ich dafür auch an männliche Personen, obwohl das Wort ‚Person‘ eindeutig weiblich ist.“ Chris Köver hingegen weist auf Untersuchungen hin, die zeigen, dass erste Assoziationen zu Begriffen wie Ärzte, Künstler oder Wissenschaftler Frauen nicht unbedingt einschließen1: „Leserinnen sind dann später überrascht, wenn sie sehen: Bei den genannten Wissenschaftlern handelte es sich genau genommen um drei Genforscherinnen und einen Chemiker.“
Unterschiedliche Rahmenbedingungen für Frauen und Männer
Außerdem gelten für Frauen und Männer in vielen Bereichen wie Berufswahl, Einkommen oder Rente unterschiedliche Bedingungen. Journalisten sind sich darüber einig, dass diese Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Texten inhaltlich sichtbar gemacht werden müssen. Über das „Wie“ scheiden sich wiederum die Geister: „Indem man immer wieder darüber berichtet. Indem man durch beharrliche Berichterstattung dafür sorgt, dass die Unterschiede bei Chancen und Gehältern als Ungerechtigkeit wahrgenommen werden“, meint Sick. Das sprachliche Gendern gehört für ihn nicht dazu: „Bei dem linguistischen Affentanz, den man Gendern nennt, gerät das eigentliche Ziel aus dem Blickfeld; statt Verständnis für die Lage der Frauen wird eher Unwillen und Widerstand erzeugt.“
Anders sieht dies „Missy“-Redakteurin Köver. Den Frauen auch in der Sprache einen Platz zu geben, bleibt für sie eine der großen Herausforderungen des qualitativ hochwertigen Journalismus, „weil man damit nicht die Hälfte seines Publikums ausschließt“, meint sie. „Frauen sind es ja gewohnt, in der Berichterstattung oder der Sprache nicht aufzutauchen, und haben sich teilweise auch daran angepasst. Aber das heißt nicht, dass es ihnen nicht positiv auffällt, wenn sie merken: da ist sich jemand bewusst, dass ein Teil seines/ihres Publikums weiblich ist und berichtet entsprechend. Die meisten werden das belohnen.“
Für ConBrio-Verlagsleiterin Barbara Haack ist es wichtig, als Fachjournalist in bestimmten Fällen sprachlich auf die Differenz zwischen den Geschlechtern aufmerksam zu machen, da, wie sie berichtet, in manchen Bereichen Männer, in anderen Frauen eindeutig stärker vertreten sind. Als von Männern dominierte Berufsgruppen nennt sie beispielsweise Jazzmusiker und Dirigenten: „Hier wäre eine Doppelnennung teilweise schon fachlich nicht korrekt“, meint sie. Frauen würden dagegen in der Elementaren Musikpädagogik und im pädagogischen Bereich allgemein überwiegen: „Hier nutzen wir dann auch schon mal nur die weibliche Form.“ Auch die Wünsche der Schreibenden werden berücksichtigt: „Es gibt Fachautor/innen, die ihre Texte in gegenderter Form liefern und darauf besonderen Wert legen. In diesen Fällen nehmen wir die Doppelformen nicht heraus.“
Gendersensibilität beginnt bei der Recherche
Wer als Journalist gendersensibel arbeiten möchte, sollte Folgendes bedenken: Genderfragen können sich bereits auf die Recherche auswirken. Da Männer mehr mediale Aufmerksamkeit bekommen, können Frauen bewusst zum Gegenstand von Nachrichten gemacht werden. Wichtig ist auch die wirklichkeitsgetreue Darstellung von Frauen und Männern, ohne Vorurteile. Der Journalistinnenbund engagiert sich für einen gendersensiblen Journalismus und bietet dazu Gender-Trainings an. Zielgruppe: Berufserfahrene ebenso wie Nachwuchsjournalisten aller Medien. Im Fachjournalist-Podcast erläutert Andrea Ernst Möglichkeiten zur gendersensiblen Arbeit für Rundfunkbeiträge und gibt Tipps zum Gendern beim Sprechen.
Fazit: Bewusstsein schaffen
Sensibilisierung für die Differenzen und die Lebenswirklichkeit der Geschlechter schaffen, stereotype Vorstellungen hinterfragen und vermeiden und in dieser Hinsicht für eine möglichst wirklichkeitsgetreue journalistische Darstellung sorgen, in der Männer und Frauen gleichermaßen zu Wort kommen – dies sind wichtige Punkte bei gendersensiblem Journalismus. Ob sprachliches Gendern notwendig ist oder nicht, wird auch in Zukunft für Debatten sorgen.
Der Diskurs über das Gendern an sich scheint wichtig und notwendig, um die Geschlechterfrage in den Köpfen nicht nur von (Fach-)Journalisten zu verankern. Gendersensibles Schreiben macht auf die Wirkung von Sprache aufmerksam, auf ihren Beitrag, bestimmte Formen sexistischer Benachteiligung zu festigen oder zu durchbrechen. Allein durch die Wahrnehmung der Problematik hat sich bereits etwas verändert.
Beispiele für gendersensibles Formulieren | |
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Gendersensibles Formulieren gelingt durch Sichtbarmachung der Geschlechter und geschlechtsneutrale Formulierungen. Die folgenden Beispiele wurden teilweise dem Leitfaden zur Anwendung einer gendergerechten Sprache der Universität Potsdam entlehnt. | |
Paarformen/Doppelnennungen | Journalistinnen und Journalisten, Wählerinnen und Wähler, jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin, die Autorin und der Autor |
Binnen-I | JournalistIn, PolitikerIn; im Plural: VertreterInnen, KünstlerInnen |
Attribute | die weiblichen und männlichen Ingenieure, die weiblichen und männlichen Arbeitskräfte |
Pluralformen (dargestellt durch substantivierte Partizipien) | die Medienschaffenden, die Schreibenden, die Teilnehmenden, die Wählenden, die Lehrenden, die Studierenden |
Substantive mit Endungen –kraft, -person, -berechtigte, -führung, -ung etc. | Arbeitskraft, Lehrkraft, Ansprechperson, Wahlberechtigte, Geschäftsführung, Personalvertretung |
Adjektive und Attribute | „kollegiale Unterstützung“ statt „Unterstützung von Kollegen“, „rollstuhlgerechter Zugang“ statt „Zugang für Rollstuhlfahrer“, „die betroffene/beteiligte Person“ statt „der Betroffene/der Beteiligte“ |
Unpersönliche Pronomen | alle die; diejenigen, die; jene, die |
Passivformen | „Die Akkreditierung wird am Presseschalter ausgehändigt“ statt „Journalisten erhalten die Akkreditierung am Presseschalter“; „Teilgenommen haben 50 Personen“ statt „Es gab 50 Teilnehmer“ |
Partizip Perfekt | „vertreten durch“ statt „Vertreter“, „verfasst von“ statt „Verfasser“, „herausgegeben von“ statt „Herausgeber“ |
Weitere Beispiele für alternative Formulierungen | „Beschäftigte“ oder „Angestellte“ statt „Mitarbeiter“, „Kontakt“ statt „Ansprechpartner“, „Geburtsname“ statt „Mädchenname“, „Team“ statt „Mannschaft“, „Abgeordnete“ statt „Parlamentarier“ |
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Friederike Schwabel arbeitet als freie Journalistin in Wien und Berlin. Sie promoviert zurzeit an der Universität Wien im Studienfach Vergleichende Literaturwissenschaft. Ihre Dissertation behandelt die Aufnahme zeitgenössischer Literatur in der deutschen und amerikanischen Presse. Eine aktuelle Veröffentlichung untersucht die journalistische Wahrnehmung deutscher Gegenwartsautorinnen wie Judith Hermann oder Charlotte Roche in den USA und ist in der Fachzeitschrift „Komparatistik Online“ erschienen. Der Beitrag erscheint im Herbst 2014 im Sammelband „Gender Dialogs“ im Bachmann-Verlag.
- Lisa Irmen und Vera Steiger kommen in einer Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass bei Verwendung des generischen Maskulinums vermittelte Interpretationen vorrangig männlich geprägt sind und Frauen in „geringerem Maße gedanklich einbezogen bzw. repräsentiert“ werden. Als Basis dienen die Ergebnisse mehrerer psychologischer Untersuchungen zur Rezeption des generischen Maskulinums, die seit Beginn der 1990er Jahre erschienen sind. [↩]
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Ein wunderbarer Artikel, der viele Kernerkenntnisse zum Thema zusammenträgt. Habe mich selbst ausführlich mit gendersensibler Medienarbeit beschäftigt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es die Qualität journalistischer Arbeit enorm steigert. Hier ist meine Gender-Studies-Arbeit als White-Paper nachzulesen: http://www.dagmar-penzlin.de/pages/Abschlussarbeit_VINGS.pdf