Tanz mit dem Drachen – Herausforderungen für deutsche China-Korrespondenten
Autobauer, Pharmaunternehmen, Werkzeughersteller – wenn deutsche Unternehmen in China Fuß fassen wollen, wenden sie sich an Institutionen wie die Handelskammer vor Ort. Dort erhalten sie Informationen dazu, wie man in China Geschäfte macht. Für Korrespondenten, die für deutsche Medien in das Reich der Mitte umsiedeln, gibt es keine Beratungsstelle. Sie sind auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, den deutschen Lesern ein umfassendes Bild über die aufstrebende Wirtschaftsmacht zu vermitteln. Das ist nicht immer einfach: Das Land ist riesig und komplex, die Sprachbarriere hoch, das politische System restriktiv. Ein Bericht über die Herausforderung, deutscher Korrespondent in China zu sein.
Auf dem Weg zur neuen Wirtschaftsmacht hat China ein rasantes Tempo vorgelegt. Nichts ist mehr so, wie es einmal war. Das Reich der Mitte strotzt vor Selbstbewusstsein, wenn es um seine Wirtschaftsleistung geht. Doch nicht alles in China hält Schritt mit dem rasanten ökonomischen Wachstum.
Kurz vor dem Regierungswechsel in Peking verstärken sich die Richtungskämpfe im Regime, die innenpolitische Lage ist angespannt. Die junge Generation ist frustriert über das Ausbleiben von politischen Reformen. Gesellschaftliche Umbrüche und Konflikte zwischen den Generationen prägen das Bild Chinas.
Korrespondenten, die für deutsche Medien aus China berichten, stehen vor großen Herausforderungen: Sie lassen die deutschen Leser an dem rasanten Wandel Chinas zur Super-Wirtschaftsmacht teilhaben; gleichzeitig haben sie die Aufgabe, die politischen und gesellschaftlichen Spannungen und Prozesse im bevölkerungsreichsten Land der Erde abzubilden.
Als Gatekeeper entscheiden sie, welche Diskurse sie beschreiben, welche Themen sie setzen. Dabei sind sie permanent selbst in ein System eingebunden, dass ihnen die Arbeit in China nicht immer einfach macht. Sie schreiben nicht nur über Menschenrechtsverletzungen, Zensur, Unterdrückung – sie sind in ihrer Arbeit teilweise selbst davon betroffen.
Hoffnung auf bessere Arbeitsbedingungen
Als die Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juni 2011 nach China reiste, schrieben ihr die China-Korrespondenten deutscher Medien vor ihrer Abreise einen Brief. Darin baten die Journalisten die Kanzlerin, sich bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen mit dem chinesischen Regierungschef Wen Jiabao für bessere Arbeitsbedingungen deutscher Journalisten in China einzusetzen.
Auslandskorrespondenten in China würden zunehmend massive Einschränkungen erfahren, die ihre Recherche vor Ort immer häufiger unmöglich machen. Vor wenigen Wochen wurde zum ersten Mal seit 14 Jahren eine akkreditierte ausländische Journalistin, die Al-Dschasira-Korrespondentin Melissa Chan, des Landes verwiesen.
Die Situation ist für Korrespondenten in China oft schwierig. Gleichzeitig stehen sie auch unter Kritik, die aus der Heimat kommt. Die Kunsthistorikerin Lydia Haustein, die Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin lehrt, schrieb kürzlich in einem Artikel mit dem Titel Kennen Sie China? in der Tageszeitung taz: „Wenn man auf deutsche Medien angewiesen ist, wird man diese Frage kaum mit Ja beantworten können.“
Einseitige Berichterstattung
Haustein kritisiert die einseitige Berichterstattung der deutschen Medien über die Volksrepublik. Von vielen Entwicklungen, die derzeit dort diskutiert werden, lese man hier viel zu wenig. Von politischen Richtungskämpfen in China, von den Ansätzen chinesischer Denker, Strategen und Ökonomen, die derzeit um ein chinesisches Verständnis von Freiheit ringen würden, bekämen deutsche Leser nichts mit.
Dafür würden diese von einem China-Bild überlagert, das kaum Schattierungen kennt, so Haustein. „Stets wird China nur an den hier hochgehaltenen Spielregeln von Demokratie und Partizipation gemessen. Und so dominieren Menschenrechte, Dissidenten, Regimekritiker und Ai Wei Wei die Themenagenda.“
Ohne Zweifel liegt in China noch vieles im Argen. Und es ist die Aufgabe der Medien, darüber zu berichten – zumindest für die Korrespondenten, die für ihre Heimatredaktionen in einem freiheitlich demokratischen System mit Pressefreiheit arbeiten.
Das führt meist dazu, dass das Reich der Mitte mit negativen Schlagzeilen in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt. Aber das bedeutet noch nicht, dass ausländische Journalisten zu „feindlichen Kräften“ werden, wie Bernhard Bartsch, der seit vielen Jahren als Korrespondent in China arbeitet, einmal in seinem Essay „Mein Leben als Feind“ schrieb.
„Westliche Journalisten werden in der Volksrepublik weithin als Teil einer antichinesischen Verschwörung gesehen“, so Bartsch. Doch Chinas Regierung rufe mit der zunehmenden Beschränkung eher ein Presseecho hervor, das sie eigentlich verhindern möchte. „Mehr Repressalien produzieren mehr Berichte über Repressalien – es ist ein Teufelskreis“, schreibt Bartsch.
Wirtschaftlicher und politischer Druck
In China arbeiten derzeit rund 30 deutsche Korrespondenten. Zudem gibt es bei manchen Publikationen zusätzliche Asienredakteure, die sich in dem Land gut auskennen. Oftmals waren sie selbst Korrespondenten, berichten aber nun von Deutschland aus.
Viele der jetzigen Korrespondenten sind schon Jahrzehnte in der Volksrepublik; gerade in den vergangenen Monaten folgten aber auch junge Kollegen nach. Die taz, die Financial Times Deutschland, die Wirtschaftswoche haben unter anderem die Stellen in China neu besetzt.
Doch der wirtschaftliche Druck, der auf den Verlagen lastet, macht auch hier nicht halt. „Man ist als Korrespondent auch von der wirtschaftlichen Situation im Heimatland abhängig“, sagt Felix Lee, der gerade im April seine Stelle als Korrespondent in Peking angetreten hat.
Wenn deutsche Tageszeitungen zunehmend um ihre Anzeigenkunden kämpfen müssen, merkt auch er das in China. „Als Schlecker Insolvenz anmelden musste, habe ich die Konsequenzen hier ebenfalls zu spüren bekommen“, sagt Lee. „Das ist Budget, das man dann zum Beispiel nicht mehr für Korrespondententexte ausgeben kann“.
Lee ist in einer „komfortablen Situation“ wie er sagt, denn neben ihm gibt es noch einen weiteren Asienredakteur in der Heimatredaktion. Lee ist Korrespondent für die taz, betreut aber einen ganzen Pool von Zeitungen, darunter die WAZ-Gruppe, die Hannoversche Allgemeine, sowie mehrere Lokalzeitungen in Deutschland und Publikationsorgane in der Schweiz, in Österreich und in Luxemburg.
Die Arbeit für mehrere Blätter mache es ihm leichter, Texte zu platzieren und zu verkaufen. „Je kleiner das Land ist, umso größer die Chancen, dort einen Text an eine Zeitung zu verkaufen. Das ist mein Eindruck“, so Lee. Deutsche Redaktionen seien oft mit innenpolitischen Beiträgen so gut bestückt, dass sie keine zusätzlichen Texte aus China annehmen können.
Felix Lee nimmt eine gewisse Sonderrolle unter den Korrespondenten ein, denn er ist ein chinesischstämmiger Journalist. Er hat in den 1980er-Jahren schon einmal in China gelebt, ist aber die meiste Zeit in Deutschland aufgewachsen. „Als ich hier angekommen bin, gab es auch ein Begrüßungsgespräch bei der Behörde. Natürlich hofft die Behörde, dass ich als chinesischstämmiger Journalist auch chinesisch denke“, sagt Lee. Heißt, konform zu den offiziellen Vorgaben der Partei berichtend.
Noch sei die chinesische Seite sehr zuvorkommend, so Lee. Aber das könne sich schnell ändern. Zum Beispiel, wenn die Behörde kritische Berichte von ihm läse. Aber Vorteile habe sein Aussehen in jedem Fall: „Als chinesischstämmiger Journalist falle ich oft auch nicht so auf, Sicherheitskräfte halten mich nicht gleich zurück“, so Lee. Außerdem spricht er fließend chinesisch.
Insgesamt beschreibt Lee die Situation für Korrespondenten in China derzeit aber als sehr angespannt: „Die Verschärfung der Lage hat sehr viel mit der derzeitigen innenpolitischen Lage zu tun.“ Die Kontrollen von ausländischen Journalisten in China seien schärfer geworden.
Als deutscher Korrespondent müsse man derzeit viel Geduld, Durchhaltevermögen und oft auch Mut mitbringen.
Das bestätigt auch Professor Thomas Heberer, deutscher Politik- und Ostasienwissenschaftler, der an der Universität Duisburg-Essen lehrt. „Die Bedingungen für die deutschen Korrespondenten, die in China arbeiten, haben sich seit 2008 eher noch verschlechtert“, so Heberer.
Mediales Interesse an China
Das Jahr 2008 war aufgrund der Ereignisse in Tibet, des gewaltigen Erbebens in Südwestchina und der Olympischen Spiele ein besonderes Jahr für China und erfuhr damit auch eine außerordentliche internationale Medienpräsenz.
Es war auch das Jahr, in dem die Heinrich Böll-Stiftung eine Studie über die China-Berichterstattung in den deutschen Medien in Auftrag gab (Richter C., Gebauer, S., Juni 2010).
Professor Thomas Heberer hat die Studie wissenschaftlich mitbetreut; es war die erste umfassende Erhebung zu diesem Thema. Für die Analyse wurden 8766 Beiträge untersucht, die im Jahr 2008 in den deutschen Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung und taz sowie in den Wochenmedien Spiegel, Focus und Zeit veröffentlicht und in den Informationssendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ausgestrahlt wurden.
Der Studie nach erfährt China in der Berichterstattung der deutschen Medien eine quantitativ hohe Beachtung. Das zeuge von einem besonderen Interesse an dem Land, so die Autoren der Studie.
Die Korrespondenten- und Redaktionsstruktur deutscher Medien in China sei gut bis sehr gut ausgebaut, so die Ergebnisse der Studie. Die so entstehende sehr hohe Eigenleistung der Arbeit der Korrespondenten (20,6 Prozent aller Berichte gehen auf sie zurück), die durch spezifische Asienredakteure noch gefördert wird (5,2 Prozent) und die vergleichsweise geringe Agenturabhängigkeit (nur rund 20 Prozent) bei der Thematisierung von China-Beiträgen sei über alle Medien hinweg beachtlich.
Dennoch zeichnen die Ergebnisse der Untersuchung, die 2010 veröffentlicht wurde, sonst eher ein ernüchterndes Bild: Etwas mehr als die Hälfte der untersuchten Beiträge bezogen sich lediglich in allegorischer und stereotypisierender Form auf China: „Das bedeutet, dass in einer Vielzahl von Medienbeiträgen der Bezug Chinas zur jeweils postulierten Thematik nicht näher beleuchtet wird, sondern bestimmte offensichtlich gesellschaftlich inhärente Vorstellungen und Klischees über das Land unreflektiert kolportiert werden“, schreiben die Autoren der Studie.
Dabei würden normativ abwertende Bilder von China den Diskurs bestimmen, zum Beispiel als „Unterstützer von Schurkenstaaten“ oder als „Klimasünder“. Nur die Wirtschaft schien laut Studie mit scheinbar positiven Bildern besetzt zu sein, so als „attraktiver Wachstumsmarkt“ und „interessanter Produktionsstandort“. Auch ein Fokus auf innenpolitische Themen sei zu beobachten gewesen, allerdings konzentriert auf Minderheiten- und Territoriumsfragen wie Tibet (11,2 Prozent) oder auf die Menschenrechtssituation (3,9 Prozent). Dagegen spielt die Analyse der drängenden sozialen Fragen (1,8 Prozent) in China im Vergleich fast keine Rolle.
Die Zitate von Felix Lee, Prof. Dr. Thomas Heberer und Lillian Zhang stammen aus persönlichen Gesprächen mit der Autorin dieses Beitrags.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Literatur:
Richter C., Gebauer, S., (2010): Die China-Berichterstattung in den deutschen Medien. Schriften zu Bildung und Kultur, Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Berlin.
Die Autorin Sophia Seiderer arbeitet als Wirtschaftsredakteurin für „Die Welt“ und „Welt am Sonntag“ in Hamburg. Sie ist Absolventin der Axel Springer Akademie in Berlin und Preisträgerin des Grimme Awards Online sowie des Axel Springer Preises für junge Journalisten.
Im Jahr 2009 war sie Stipendiatin der Robert Bosch Stiftung im Medienbotschafter-Programm China-Deutschland und hat für die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua in Peking gearbeitet.
Sophia Seiderer hat in München, London und Peking internationale Beziehungen und Kommunikationswissenschaften studiert und ist Alumna der Studienstiftung des Deutschen Volkes.