Hinter den Kulissen des Reisejournalismus
Ein Interview mit der mehrfachen „Reisejournalistin des Jahres“ Stefanie Bisping.
Seit ihrer Kindheit zieht es Stefanie Bisping in die Ferne. Ihre Leidenschaft hat sie nicht nur zum Beruf gemacht; sie gehört sogar zu den Besten ihrer Zunft. Gerade wurde sie erneut als „Reisejournalistin des Jahres“ ausgezeichnet. Ein Anlass für den Fachjournalist, mit ihr darüber zu sprechen, was guten Reisejournalismus ausmacht, ob sich ihre Branche durch Corona dauerhaft verändert hat und was sie Nachwuchsjournalist:innen rät, um erfolgreich zu sein.
Seit 2018 rangieren Sie unter den Top Ten der „Reisejournalisten des Jahres“, 2020, 2022 und auch 2023 belegten Sie Platz eins. Was machen Sie richtig?
Ich versuche, fesselnde und unterhaltsame Texte zu schreiben. Also nicht nur: „Oh, wie schön ist Panama!“ Ich beschreibe gerne interessante Menschen und was sie umtreibt.
Woher rührt Ihre Leidenschaft fürs Reisen?
Reisen ist schon immer Teil meines Lebens gewesen. Meine Eltern haben mit mir während meiner Kindheit ausgedehnte Touren durch Frankreich im VW-Bus unternommen. Während der Schulzeit habe ich ein Jahr in den USA verbracht, schließlich in England studiert. Während meines Volontariats bei der Westdeutschen Zeitung in Düsseldorf war ich zwar die meiste Zeit im Lokalen, habe aber auch die erste Pressereise unternommen. Später war ich als Stipendiatin der Heinz-Kühn-Stiftung für sechs Wochen in Namibia, um über Arbeit und Arbeitslosigkeit zu recherchieren.
Über welches Kompliment für einen Artikel haben Sie sich gefreut?
Ich finde manchmal einen Brief von Leser:innen im Briefkasten. Sie betonen, genau so, wie ich es geschildert hätte, hätten sie es auch erlebt. Es sei so schön gewesen, durch meinen Artikel nochmals einzutauchen in diese Erlebnisse. Viele legen sich Artikel weg, um später in die beschriebene Region zu reisen.
Einmal habe ich eine Geschichte über einen Gitarrenbauer in Andalusien geschrieben. Ein Paar hat ihn im Sommer darauf aufgesucht und mir ein gemeinsames Foto mit ihm geschickt, auf dem sie meinen Artikel in der Hand halten. Das würde ich zumindest nicht als beleidigend verstehen.
Welche Vorbilder hatten Sie?
Autoren, die ich gern gelesen habe, sind: Bill Bryson, dessen witzige Reiseberichte aus Europa, Amerika und Australien mir sehr gefallen. Die Dramatikerin Sibylle Berg, die bei der Zeitschrift Allegra früher Reisegeschichten veröffentlichte. Oder Hans Scherer, der vor meiner Zeit tolle Artikel für die F.A.Z. geschrieben hat.
Ich habe aber versucht, niemanden zu kopieren, sondern meinen eigenen Stil zu finden.
Wodurch zeichnet sich guter Reisejournalismus aus?
Dadurch, dass er in die Tiefe geht, nicht nur oberflächliche Beschreibungen von weißen Stränden und blauem Meer liefert. Die Geschichte muss die Lesenden gar nicht unbedingt zum Reisen animieren. Aber sie soll unterhalten. Guter Reisejournalismus erzählt spannende, lustige Geschichten von Menschen, die mit der Destination verbunden sind, ist im wahrsten Sinne des Wortes lebendig.
Die Leserschaft kann heute aus einem Überangebot wählen. Um Interesse zu wecken, müssen wir also einen lesenswerten Ansatz finden. Beliebige Texte lassen sich auch nicht so leicht verkaufen.
Was kommt bei den Redaktionen besonders gut an?
Artikel à la „Alles über Thailand“ locken keinen hinterm Ofen hervor. Man braucht schon einen speziellen Aufhänger. Welche Themen sich gut verkaufen, ist unvorhersehbar. Der Reisejournalismus bleibt voller überraschender Momente.
Wenn ich eine Reise plane, höre ich in den Redaktionen nach, ob das für sie interessant ist. Aber da nie vorherzusagen ist, was für eine Geschichte dabei herauskommt, ist es oftmals leichter, den fertigen Artikel anzubieten.
Wie kommen Sie auf Themen und Ziele?
Ich bin immer noch neugierig auf all die schönen Orte rund um den Globus, lese gern und viel – auch dadurch kommen Themen auf. Manchmal organisiere ich meine Reisen selbst, manchmal nehme ich auch Einladungen zu Pressereisen an, wie jetzt nach Miami.
Pressereisen werden seit Jahrzehnten beispielsweise durch Fremdenverkehrsämter finanziert, die Partner für Hotels und Flüge mit ins Boot holen. Oder sie haben selbst Budgets dafür zur Verfügung. Auch Airlines, die eine neue Strecke anbieten, laden häufig Journalist:innen zu Pressereisen ein, um darauf aufmerksam zu machen. Die Möglichkeiten sind vielfältig.
Ich werde oft nach meinem Lieblingsland gefragt. Die Welt ist sehr groß – ich bin trotz all meiner Reisen weit davon entfernt, sie ganz zu kennen. Von daher finden sich immer noch neue, spannende Geschichten. Manchmal auch da, wo man gar nicht damit gerechnet hat.
Die meisten Menschen fahren gerne in den Urlaub. Damit auch noch Geld zu verdienen, scheint beneidenswert. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Australien war meine dritte Reise in diesem Jahr. Ich bin viel, viel mehr zu Hause als unterwegs. Ich würde sagen: 80 Prozent der Zeit bin ich hier. Mein Geld verdiene ich am Schreibtisch. Und ich schreibe langsam.
Ideal ist es, wenn bei einer Reise mehrere Geschichten herauskommen. Das muss schon sein. Ein einziger Abnehmer wäre nicht zielführend.
Wie gehen Sie auf Reisen vor: Machen Sie sich Notizen?
Viele machen schon längst alles mit dem Handy, schicken sich selbst Sprachnachrichten oder geben auf dem Smartphone ihre Notizen ein. Ich schreibe mit der Hand in ein Notizbuch. Und mache Fotos, um mich an Orte und Situationen zu erinnern.
Bebildern Sie die Strecken auch selbst?
Es ist mein Bestreben, meine eigenen Fotos zu verkaufen. Aber für Magazine reicht die Qualität nicht immer aus; ich bin keine Fotografin. Gelegentlich drehe ich auch Videos, aber mehr für soziale Medien wie Instagram.
Immer weniger Magazine bezahlen noch Fotograf:innen. Sie bebildern die Geschichten schon seit Jahren mit Stockfotos.
Aus Kostengründen werden im Journalismus teilweise Geschichten vom Schreibtisch aus gemacht. Wie ist es in Ihrem Ressort: Muss man vor Ort gewesen sein, um eine gute Reisegeschichte zu machen?
Ja! Ja, natürlich. Ich käme gar nicht auf die Idee, anders zu arbeiten. Es ist auch gar nicht nötig, es vom Schreibtisch aus zu machen. Ich wäre ja blöd, wenn ich die Reise nicht machen, sondern mir etwas ausdenken würde – das ist nicht nur langweiliger, sondern auch viel schwieriger.
Auch für die Redaktionen stellt sich die Frage nicht. Denn es gibt massenhaft Pressereisen und daher ein großes Angebot an Texten von Leuten, die auch tatsächlich am Ort waren. Ich reiche als Nachweis meist ein Foto von mir bei der Recherche mit ein, als Autorinnen- oder Belegfoto – selbst dann, wenn das noch nie jemand von mir verlangt hat.
Während des Lockdowns konnte niemand reisen. Wie lautet Ihr Resümee: Inwiefern hat sich der Reisejournalismus (dauerhaft) durch die Corona-Zeit verändert?
In Australien sprach ich jetzt mit einer amerikanischen Kollegin, die sagte, sie habe noch nie so viel zu tun gehabt wie während Corona. Und auch wenn einige Tageszeitungen im ersten Lockdown ihre Reiseseiten eingestellt hatten – jetzt sind wieder alle unterwegs.
Ich glaube nicht, dass sich irgendetwas verändert hat; mir sind bisher jedenfalls keine Veränderungen aufgefallen. Die Corona-Zeit und die Unmöglichkeit des Reisens sind schon fast wieder vergessen.
Ich denke, unterschiedliche Menschen haben das Ganze unterschiedlich erlebt. Vielleicht ist es jedoch auch im Journalismus so wie in anderen Branchen, dass sich Kolleg:innen anderen Berufen zugewendet haben.
Wie hat sich Ihr Berufsbild ansonsten im Laufe der Jahre gewandelt?
Die Medienlandschaft insgesamt hat sich verändert: Zeitschriften werden vom Markt genommen, Redaktionen arbeiten nicht mehr mit Freien zusammen und gerade bei Tageszeitungen entstehen riesige Verbünde. Wenn ich eine Geschichte verkaufe, erscheint sie in 25 Blättern. Früher habe ich die Geschichte an unterschiedliche Redaktionen gestreut; heute nehmen einem die Verlage das quasi ab – das ist wirtschaftlich natürlich nicht so schön für uns freie Fachjournalist:innen.
Ein einziges Mal wurde ich von einer Redaktion gefragt, ob ich nicht die Reise als Honorar für eine Geschichte akzeptieren würde. Aber das ist natürlich Unsinn: Ich finanziere mich über meine Honorare, außerdem bekomme ich die Einladungen ja auch selbst. Die Kolleg:innen in den Redaktionen gehen schließlich auch nicht zur Arbeit, um in der Kaffeeküche in netter Gesellschaft ein Heißgetränk zu sich nehmen zu können, sondern um ihr Geld zu verdienen.
Ich sehe die Gefahr, dass Nachwuchsjournalist:innen umsonst arbeiten, um einen Einstieg zu finden. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das funktioniert – das kann nicht die Antwort sein.
Was würden Sie interessierten Nachwuchskräften raten?
Vom Reisejournalismus glaubt jeder, er könne das auch. Aber es geht in unserem Ressort – wie generell im Journalismus – darum, Dinge einordnen zu können. Dafür ist es gut, wenn man schon ein bisschen gereist ist. Eine Krankheit von uns Reisejournalist:innen ist, dass wir immer sagen, hier sieht es aus wie da oder dort. Aber wir wissen eben auch: Was unterscheidet sich hier im Vergleich zu da oder dort.
Was außerdem wichtig ist, wenn man neu anfängt: Man sollte versuchen, sich von seinen Abnehmern her so breit wie möglich aufzustellen. Viele Auftraggeber kennenzulernen und für sich zu gewinnen. Für sich und seine Themen zu werben in den sozialen Medien, zum Beispiel auf Instagram. Das ist gut, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber man muss aufpassen, dass man sich von Influencer:innen abhebt.
Schreiben Sie auch für Online-Magazine?
Ich schreibe eigentlich für Printerzeugnisse. Aber meine Artikel erscheinen meist auch online. In der Regel ist das mit dem Honorar bereits abgegolten. Manche Texte erscheinen auch nur online.
Ich habe überhaupt nichts gegen online; irgendwann wird wahrscheinlich alles nur noch online erscheinen. Aber Print ist für mich immer noch erste Wahl – das ist vielleicht doch eine Generationenfrage.
Inwieweit kann im Reisejournalismus ChatGPT zum Einsatz kommen?
Ich weiß es nicht, ich habe keine Erfahrung damit. Vom Gefühl her würde ich sagen: Das kann es nicht bringen, es ist ja auch nicht das, was man möchte – ich jedenfalls wollte immer schreiben. Dabei versuche ich zu vermeiden, mehrere Geschichten gleichzeitig zu schreiben. Ich investiere drei bis vier Tage, dann ist es geschafft.
Mithilfe von ChatGPT mag es zwar ungleich schneller gehen. Aber man verdient nicht zwingend mehr, nur weil der Text zügig verfasst ist – er muss ja auch gut sein, damit er sich verkauft.
Was sollte eine Reisejournalistin bzw. ein Reisejournalist nicht tun?
Bei jedem Post in sozialen Medien die Partner und Sponsoren nennen – dann wird die Arbeit schnell zum Marketing. Natur, Landschaft, interessante Menschen und skurrile Details sind auch interessanter als touristische Produkte. Schließlich sind Reisejournalist:innen nicht der verlängerte Arm der Reiseindustrie. Den Compliance-Hinweis schreiben die Redaktionen selbst unter den Text; die Partner finden in einem Kasten Erwähnung.
Niemand muss sich heute für eine warme Mahlzeit verbiegen, so schlecht geht es uns allen zum Glück nicht. Man sollte immer im Hinterkopf haben: Wie fantastisch fände ich die Reise, wenn ich sie bezahlt hätte?
Im August 2020 habe ich ein Interview mit Ihrem Kollegen Helge Timmerberg geführt, der Pressereisen kritisch sieht, weil er meint, dass sie die journalistische Unabhängigkeit gefährden. Sehen Sie das auch so?
Ich sehe die Abhängigkeitsproblematik bei unterstützten Pressereisen nicht so dramatisch wie Helge Timmerberg. Zwar sehe ich mich in der Pflicht, die Sponsoren im Infokasten zu nennen – wobei ich nichts empfehle, was mir nicht gefällt –, verspüre aber keine Verpflichtung, im Gegenzug für eine Pressereise unkritisch zu sein. Ich versuche, die Dinge so zu beschreiben, wie sie sich mir darstellen. In der Regel gibt es da keine Probleme.
Einmal musste ich in Westaustralien drei Nächte unter freiem Himmel schlafen; vor der Reise war von einer Unterbringung in Zelten die Rede gewesen. Für mich als Schlangenphobikerin war das schwer zu ertragen. Ich überlebte und beschrieb alles wie erlebt. Camping-Fans fanden die Geschichte reizvoll. Wer wie ich Reptilien fürchtet, wusste nach der Lektüre, dass das nichts für ihn ist.
Und wie war die Reaktion der Veranstalter?
Der Tourismusverband hatte keine Probleme damit und die Geschichte lief gut. Es ist ja auch so, dass die Veranstalter für sich Veröffentlichungen nach dem Wert der entsprechenden Fläche als Anzeige verbuchen. Auch bei kritischen Texten sind sie zumindest ökonomisch im Plus.
Mir ist es nur einmal passiert, dass ein Sponsor – bzw. seine PR-Agentur – nach einer Veröffentlichung verärgert reagierte. Auch da hatte ich alles wahrheitsgemäß beschrieben, wie ich es erlebt hatte – es ging um urlaubende Amerikaner:innen auf den Bahamas. Manchen mag das abgeschreckt haben, andere hat es vielleicht sogar gereizt – wer weiß? Aber schließlich geht es im Journalismus darum, zu beschreiben, was man sieht.
Inwiefern ist der Reisejournalismus lukrativ?
Schon vor mehr als 20 Jahren haben mich die Leute gefragt: Kann man denn davon leben? Und ich antwortete das, was ich auch heute noch antworte: Sehe ich so aus, als lebte ich nicht? Um gut vom Reisejournalismus leben zu können, darf man allerdings nicht davor zurückschrecken, sein Wissen in neuem Content anzuwenden, auch mal PR-Texte zu schreiben.
Es ist ratsam, sich zu spezialisieren, sowohl was die Ziele betrifft als auch im Hinblick auf die Verkehrsmittel. Es gibt unter den Kolleg:innen zum Beispiel Zug- und Airline-Expert:innen. Man kann Glossen schreiben, sich ein neues Buchprojekt ausdenken. Das ergibt ein Mosaik an Aufgaben, wodurch man gut zurechtkommen kann.
Ich zum Beispiel mache auch diverse Reiseführer, etwa für Marco Polo. Bei dem ersten über die französische Atlantikküste suchte der Verlag einen neuen Autoren. Bei Picus, die eine Sammlung von Reisegeschichten veröffentlichen, schlage ich Themen vor. Oft werden Autor:innen gesucht für bestimmte Gegenden. Ich habe auch schon Bildbände betextet, das hat sich von außen ergeben. Reiseführer und -bücher waren schon immer ein typisches Standbein von Reisejournalist:innen, das ist keine Folge der genannten Krisen.
Also ja: Der Reisejournalismus ist durchaus lukrativ.
Das Gespräch führte Ulrike Bremm.
Titelillustration: Esther Schaarhüls.
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Stefanie Bisping (geboren 1968 in Münster) liebt das Reisen, seit ihre Eltern sie als Kind in einen VW-Bus packten, um zu ausgedehnten Touren durch Frankreich aufzubrechen. Der Bus blieb irgendwann liegen, die Leidenschaft aber dauerte an. Nach der Schulzeit mit einjährigem Abstecher nach Houston, Texas, studierte sie Anglistik, Germanistik und Politikwissenschaft in Münster und Reading (England). Nach einem Volontariat bei der Westdeutschen Zeitung schreibt sie seit 26 Jahren (seit 1997) als Reisejournalistin für Tageszeitungen und Magazine und hat dabei die Welt von Spitzbergen bis nach Tasmanien vermessen. Außerdem veröffentlichte sie zahlreiche Bücher bei verschiedenen Verlagen. Seit 2018 ist sie unter den Top Ten der „Reisejournalisten des Jahres“, 2020, 2022 und 2023 schaffte sie es auf Platz eins des Rankings.