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Zwischen „rasenden Reporter:innen“ und „Action-Journaille“ – journalistische Berufsbilder in digitalen Spielen

Computer-, Video- und Smartphone-Spiele sind nicht nur sehr erfolgreiche Wirtschaftsgüter oder spannende Technologietreiber. Sie sind ebenso als ein medialer Ort zu begreifen, an dem kollektive Wissensbestände unserer Gesellschaft dargestellt und verhandelt werden. Dazu gehören auch die Spieldesign- und Spielentwicklungs-Vorstellungswelten von verschiedenen Berufsbildern. Die Figuren des Reporters oder der Journalistin machen hierbei keine Ausnahme.

Die Zahlen sind (erneut) beeindruckend: Folgt man game, dem Verband der deutschen Games-Branche e. V., spielten 2022 sechs von zehn Deutschen digitale Spiele; dabei stieg deren Durchschnittsalter auf fast 38 Jahre. So wurden mit Games, Games-Hardware und Gebühren für Gaming-Online-Dienste insgesamt rund 9,8 Milliarden Euro umgesetzt – ein Plus von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und unabhängig davon, ob es um Cloud-Computing, Software-as-a-Service (SAAS) oder Virtual-Reality- (VR-) bzw. Augmented-Reality- (AR-)Technologie geht: Digitale Spiele waren und sind stets ein Eisbrecher für künftige Massenmärkte oder zumindest willkommene Experimentierfelder für die Technologie. Ablesen lässt sich daraus vor allem eines: Digitale Spiele sind wirtschaftlich erfolgreich und sehr viele Menschen verbringen eine Menge ihrer Lebenszeit mit diesem Medium.

Die Vermischung realer und digitaler Welten

Die Bedeutung digitaler Spiele geht aber über die ökonomischen Kennzahlen weit hinaus. Video- und Computerspiele sind Ergebnisse kreativer Prozesse und gleichzeitig Kulturprodukte voll unterschiedlicher Einflüsse auf verschiedenen Ebenen. Wenn sie also Räume anbieten, um soziokulturelle Erfahrungen und Lebenswelten zu konfigurieren, werden die Interaktionen von Spielenden und Spiel zu beschreibbaren sozialen Realitäten. Diese können auch die Darstellung und Verhandlung von Berufen und Berufsbildern einschließen – etwa im Journalismus.

Denn, wie die beiden Spielforscher Rüdiger Funiok und Sebastian Ring 2014 in einem Aufsatz über Moral im Spiel festhielten: Medien – ob Journalismus oder Spiel – verbreiteten „relevante Mitteilungen und tatsächliche vorhandene Meinungen in der Bevölkerung“. Gleichzeitig stifteten sie „für die Einzelnen oder die Gemeinschaft Identität“, „prägen das Verständnis von Welt, transportieren Werte und Unwerte [und] legitimieren politische Macht“ (Funiok, R., Ring, S. 2014, S. 110).

Der Fundus, aus dem sich Entwicklerkreise und Kreative für digitale Spiele bedienen, ist ebenso vielfältig wie schwer überschaubar – er reicht von Religion und Politik über Wissenschaft bis zu Gesellschafts- und Kulturthemen. Spielforscher Tobias Bevc merkt dazu in seinem Aufsatz „Visuelle Kommunikation und Politik in Videospielen“ an, dass digitale Spiele dabei zurückgreifen auf „Bilder, Erzählungen und Symbole, die in unseren kulturellen Praktiken und in unserem Alltagsleben bestimmte Bedeutungen besitzen“ (Bevc, T. 2010, S. 173).

Wer ist in der digitalen Welt journalistisch tätig?

Welche journalistischen Berufsbilder werden denn nun in welchen Spielen wie dargestellt? Auf welche rasenden Reporter, knallharten Recherchierenden und exzellenten Editorinnen treffen Spielende oder schlüpfen selbst in die Rolle? Und: Welchen Tätigkeiten gehen sie dabei nach, wie sieht ihr Leben aus und in welchem Umfeld bewegen sie sich?

Es kann festgehalten werden, dass Spiele-Designer:innen mit dem journalistischen Berufsfeld  grundsätzlich positive Tugenden assoziieren. Dazu zählen zum Beispiel Aufrichtigkeit, Neugierde, Unbestechlichkeit, Mut oder Professionalität. Auch Charakterzüge wie Hartnäckigkeit und Risikobereitschaft – verbunden mit einem hohen Grad an Mobilität – sind immer wieder aufgerufene Charakterzüge. Häufig ist auch eine gewisse Schlitzohrigkeit zu erkennen, um berufliche Ziele zu erreichen. Mitunter wird jedoch auch die Nähe zu den Mächtigen als Herausforderung thematisiert; hier schwebt das Damoklesschwert der Korrumpierbarkeit praktisch bereits über den Köpfen der schreibenden und fotografierenden Zunft.

Darf ich vorstellen? Die Figuren.

Zak McKracken

Dies ist sicherlich eine der ältesten Darstellungen eines Reporters in einem digitalen Spiel. Die ersten Spielfreudigen machten seine Bekanntschaft bereits 1988 in dem Adventure-Spiel „Zak McKracken and the Alien Mindbenders“. Seitdem können sie die Rolle des frustrierten Boulevardreporters aus San Francisco übernehmen, der die Menschheit vor einer Alien-Invasion retten muss. Da die Außerirdischen auch eine Strategie verfolgen, die Welt durch Verdummung zu unterjochen, hält der Klatschreporter an einer Stelle fest: „If you’ve been feeling increasingly stupid lately, you’re not alone!“ Augenscheinlich passt das Genre Adventure-Spiel zum journalistischen Berufsbild, das vielen von uns vor Augen steht: das Zusammenführen vieler kleiner „Puzzleteile“, um größere Rätsel schließlich zu lösen.

Frank West

Der als US-Freelance-Fotojournalist beschriebene Charakter ist der spielbare Protagonist in „Dead Rising“, einem japanischen Horrorspiel. Er ist stets mit seiner Spiegelreflexkamera „bewaffnet“ und muss sich 72 Stunden in einem Shoppingcenter seiner Haut wehren, da die Toten aus ihren Gräbern auferstanden sind und sich „hungrig“ auf die Lebenden stürzen.

Als West dokumentieren wir mit der Kamera als Spielmechanik nicht nur die Lage vor Ort, sondern haben es auch in der Hand, Zivilpersonen zu retten. Eine vom Spiel als gelungen betrachtete Fotoarbeit wird mit der Möglichkeit belohnt, sich als Charakter weiterzuentwickeln, sprich Stärken auszubauen, die das Überleben im Spiel erleichtern. West, der in seiner Vergangenheit wohl auch als Kriegsreporter unterwegs war, ist aber ebenso daran gelegen, seine professionelle Reputation weiter zu stärken. Das ist an seinen Äußerungen zu erkennen, die sich etwa so anhören: „It’s Frank. Frank West. Remember that name ’cause the whole world’s gonna know it in three days when I get the scoop.”

Rebecca Chang

Im Nachfolger des Spiels – „Dead Rising 2“ – tritt News-Reporterin Rebecca Chang auf den Plan, die rund um den Zombie-Ausbruch ihre ganz große Story und somit ihren Durchbruch wittert. Als Charakter tritt sie wesentlich undifferenzierter als Frank West in Erscheinung. Offenbar hielten es die Spiel-Designer:innen für eine angemessene Idee, Chang nicht nur einen tiefen Blusen-Ausschnitt zu verpassen, sondern sie am Ende des Spiels per Kopfschuss hinrichten zu lassen, da sie „der Wahrheit“ zu nahe gekommen war.

Alyssa Ashcroft und Ben Bertolucci

Die „drei K“ – Krisen, Kriege und Konflikte – ziehen journalistisch Tätige im realen Leben wie im digitalen Spiel offenbar magisch an. Dies zeigt auch die japanische Horror-Erfolgsserie „Resident Evil“. Spielbare Hauptperson ist darin die für die lokale Tageszeitung The Raccoon Press arbeitende Alyssa Ashcroft, die aufgrund ihrer investigativen Arbeit ein Talent für das Knacken von Türschlössern sowie das Abfeuern von Schusswaffen entwickelt hat. Aber wir begegnen auch Ben Bertolucci – sind die Alliterationen zufällig? –, dem Investigativjournalisten. Er sammelt Beweise gegen den korrupten Polizeichef der Kleinstadt, der sich illegal mit einem Pharmaunternehmen eingelassen hat. Journalismus legt sich mit der Polizei an – „BB“ wird den Spielverlauf nicht überleben.

Irene Ellet

In dem japanischen Strategie-Rollenspiel „Valkyria Chronicles“ treffen Spielende auf die 25-jährige Reporterin Irene Ellet; sie übt eine Doppelfunktion aus, da sie gleichzeitig als Erzählerin des Spiels in Erscheinung tritt. Ellet arbeitet für den örtlichen Radiosender GBS – auch als Kriegsberichterstatterin im Bereich „Embedded Journalism“. Denn sie heftet sich eng an die Fersen einer Militäreinheit namens „Squad 7“ und begleitet diese durch die Irrungen und Wirrungen des Konflikts.

Diese Nähe der „eingebetteten Journalistin“ zum Hauptgegenstand ihrer Berichterstattung wird kaum problematisiert – im Gegenteil. Viel eher kann sie als eine Art Fürsprecherin gelten, da die Einheit zwar offenbar militärische Glanztaten vollbringt, aber um deren Anerkennung bangen muss – wenn die beherzte Irene Ellet die Dinge nicht richtigstellen würde. Die betreibt nebenbei ihre eigene Zeitung und beschreibt sich selbstbewusst als „the bravest reporter GBS has!“. Ihre Zeit im Feld arbeitet sie später in einem Sachbuch auf, was wiederum nicht untypisch für die Arbeit heutiger Journalist:innen ist.

Fazit

Dieser einführende Überblick macht deutlich: Die klassische Routinearbeit an Computer und Telefon oder die vielen sich verlaufenden Spuren sind es üblicherweise nicht, die in die Abbildungen des journalistischen Berufsbildes in digitalen Spielen fließen. Eine gewisse „Cut to the Chase“-Attitüde scheint auch in diesem Medium oftmals dafür zu sorgen, dass „Progression durch Drama und Action“ die spielbare Maxime bleibt: Ob Nolan Campbell in „Clock Tower 2“, Laura Bow in „Der Dolch des Amon Ra“ oder Joe Greene in „Deus Ex“ – meist treffen Spielende auf investigative Zeit(ungs)genossen, deren Nähe zu Detektiven und polizeilichen Ermittlerinnen unverkennbar ist.

Zu erklären ist dies wohl am ehesten durch die Umsetzung eines „Show, don’t Tell“-Prinzips. Die spannende Hatz oder die packende Suche nach der „Smoking Gun“ – oftmals begleitet von einer populären Ein-Mann-oder-eine-Frau-gegen-das-System-Erzählung – schlagen in der Umsetzung die vermeintlich langweiligeren Abbildungen von Redaktionssitzungen oder vom Kantinengang im Pressehaus: Spiel-Designer:innen sind darauf angewiesen, ihr Klientel bei der Stange zu halten und einen Fluss an Handlungspfeilern zu generieren, der dazu einlädt, mittels Herausforderungen und Rätseln immer tiefer in die Spielwelt einzutauchen.

Es bleibt abzuwarten, ob durch die auf dem immer größer werdenden Markt der von Independent-Entwickler:innen erzeugten kleineren – oder vielmehr weniger sensationashaschend bzw. marktorientierten – Produktionen, eine authentischere bzw. auch vielseitigere Repräsentation und Verhandlung des Berufsstandes in digitale Spiele Einzug hält.

Literaturverzeichnis

Funiok, R. et al. (2014): „Moral im Spiel. Anforderungen und Rahmenbedingungen moralischen Urteilens.“ S. 109–117. In: Kathrin Demmler et al. (Hg.): Computerspiele und Medienpädagogik. Konzepte und Perspektiven, München.

Bevc, T. (2010): „Visuelle Kommunikation und Politik in Videospielen“. S. 169–191. In: Caja Thimm (Hg.): Das Spiel: Muster und Metapher der Mediengesellschaft, Wiesbaden.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Der Autor Dr. phil. Dr. rer. cult. Rudolf Thomas Inderst ist Professor für Game Design an der IU Internationale Hochschule und leitet das Ressort „Digitale Spiele“. Er spricht, lehrt und publiziert regelmäßig national wie international im Bereich der digitalen Spieleforschung. Er ist der Herausgeber des wöchentlichen Messenger-Newsletters Game Studies Watchlist und Gründer wie Host der Podcast-Reihe Game Studies auf dem New Books Network.

 

 

 

 

Kommentare
  1. Ras sagt:

    Und wo ist eigentlich Spiderman? Der ist ja auch Fotograf bei einer Zeitung, und hat Bilder von sich selbst geliefert.

  2. Klasse! Sehr interessanter Artikel über Journalisten in Computerspielen. Es ist wunderbar, dass die Entwickler versuchen, den Beruf des Journalisten offenzulegen und banale Geschichten zu vermeiden.