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Karriere und Journalismus: „Diesen Job wählt man aus Leidenschaft für die Medien und nicht der Bezahlung wegen“, Teil 2

Sie blickt auf mehr als 20 Jahre Führungserfahrung in verschiedenen Verlagen und Positionen zurück – und kann Journalisten-Kollegen aus erster Hand Tipps für die Karriere geben. Mit dem Fachjournalist sprach Andrea Huss darüber, wie man im Journalismus seinen Platz findet, wie man als Freier seinen Stundensatz berechnen sollte und wie sie als Businesscoach dabei helfen kann, neue berufliche Pläne zu schmieden und zu verwirklichen.

Noch immer ist der Journalismus, „was mit Medien“, für viele ein Traumjob. Wie findet man als Einsteiger heraus, welches Ressort einem am Herzen liegt?

Als Beginner sollte man sich daran orientieren, was man selbst am liebsten liest oder guckt. Ich selbst schlage beispielsweise als Erstes immer das Feuilleton auf. Eigene Interessen sind der beste Treibstoff, um seine Karriere auf Touren zu bringen und wirklich tolle journalistische Produkte zu produzieren. Ich würde nicht empfehlen, von Anfang an strategisch vorzugehen, sich nur deshalb in einer Online-Redaktion zu bewerben, weil online die Zukunft ist.

Mindestens genauso wichtig wie die Frage nach den Inhalten ist die Frage: In welchem Tempo will ich arbeiten? Es ist ein krasser Unterschied, ob ich bei einem Monatsmagazin arbeite, bei der Tagespresse oder online, wo Meldungen manchmal stündlich aktualisiert werden. Endlos herumzufeilen, herumzuschrauben ist online nicht möglich – das sollte man mit in Betracht ziehen bei seiner Entscheidung. Da heißt es: Weiter im Text, weiter, weiter! Es gibt Leute, die brauchen Tempo, denen hängt man einen Mühlstein um den Hals, wenn man sie bittet, ihren Text sprachlich fein zu ziselieren. Andere treibt gerade die Lust an schöner Sprache oder tiefen Gedankengängen an, die sollten sich ein Betätigungsfeld suchen, in dem sie daraus Kapital schlagen können – und sich nicht im Gegenteil behindern, indem sie in einer Redaktion anheuern, für die sie immer zu komplex denken oder zu langsam schreiben.

Wichtig ist auch, sich darüber klarzuwerden, was ich als Journalist bezwecke: Will ich eher Meinung machen oder gut recherchierte Hintergründe liefern? Bin ich vielleicht auch damit zufrieden, dass ich in einem Recherchekollektiv versteckt bin? Gibt es mir die viel größere Befriedigung, dass ich Wahrheiten aufdecken und die Gesellschaft in irgendeiner Form kritisieren kann? Ist das die größere Triebkraft für mich als der super Kolumnist oder Redenschreiber zu sein?

Zufrieden sind wir immer dann, wenn unsere Kompetenzen und Interessen im beruflichen Umfeld gefragt sind und wir sie nicht verneinen müssen.

Sie sind Business-Coach und Medienprofi mit mehr als 20-jähriger Erfahrung in leitenden Positionen in verschiedenen Verlagen. Ihre Coaching-Klienten sind Solo-Selbstständige, Festangestellte und Führungskräfte. Wer ist für die Selbstständigkeit geboren?

Das Wichtigste für einen Freien: dass er gut in Selbstführung ist. Also tatsächlich sein eigener Chef sein kann, im Sinne von: Ich setze mir selbst Ziele und kann mich darauf verlassen, dass ich an denen dranbleibe. Ganz wichtig ist der Glaube an sich selbst. Wenn man von seiner Dienstleistung und sich selbst begeistert ist, dann kann man das auch verkaufen. Womit viele ein Problem haben (womit man aber besser keines haben sollte!), ist der Bereich Akquise: seine eigene Dienstleistung in jeder Situation locker kommunizieren. Nachfassen, bis es zu einem Abschluss kommt. Und gut verhandeln können. BWL-Grundkenntnisse sind auch nicht verkehrt, zu wissen, was man an Umsatz braucht, um sich und eventuell seine Familie ernähren zu können. Dennoch muss ein Selbstständiger sich auch in mageren Zeiten selbst auf die Schulter klopfen und sagen können: Ich habe die ganze Woche gut gearbeitet, vielleicht sind dabei zwar gar keine Aufträge entstanden, aber ich lasse mich davon nicht kirre machen und erlaube mir als Ausgleich jetzt selbst, Wochenende zu haben.

Wann sollte man es bei einer Festanstellung belassen?

Ich habe es schon paarmal im Coaching gehabt, dass sich jemand selbstständig machen wollte, wir das durchgespielt und überlegt haben, wie das bei den Eltern war. Wenn die- oder derjenige es als schön empfunden hat, dass die festangestellten Eltern immer pünktlich nach Hause kamen, dass man wusste, man kann in den Urlaub fahren, sich dies und jenes leisten, erkannte die Person für sich in der Reflexion: Vielleicht ist eine Festanstellung doch nicht so schlecht. Das gilt auch für jemanden, der eine chronische Krankheit wie Migräne oder Asthma hat. Der bekommt sein Gehalt, kann sich im Bedarfsfall zwei Tage krankschreiben lassen oder aus dem Homeoffice arbeiten. Andererseits kenne ich viele, die aus genau dem Grunde die Selbstständigkeit wählen, dass sie niemandem Rechenschaft ablegen wollen, wenn sie sich eine Auszeit nehmen.

Wer sich nicht sicher ist, ob er mehr Freiheit oder Sicherheit braucht, dem empfehle ich, beides zu mischen, beispielsweise zu 70 Prozent eine Festanstellung zu haben und noch 30 Prozent freiberuflich zu arbeiten. Dabei kann man gut ausprobieren, was einem mehr liegt, ob man die Gewichtung langfristig verschieben möchte.

Generell lässt sich sagen: Für jemanden, der sich selbst nicht so gut strukturieren kann, ist die Festanstellung günstiger. Da ist die Arbeitswoche strukturiert, und das ganze Surrounding gesetzt. Ich habe eine feste Dienstzeit, einen festen Arbeitsplatz, ich muss mir meine Arbeitsmittel, mein Team nicht projektweise besorgen, und die Akquise fällt weg. Als Solo-Selbstständiger im Journalismus sitzt man ganz alleine zu Hause vor dem Rechner oder am Telefon. Wer merkt, dass er in Zusammenarbeit mit anderen mehr Kreativität entwickelt, für den ist eine Festanstellung auch günstig (oder er entwickelt sich als Selbstständiger zum Unternehmer und stellt Mitarbeiter ein, aber das sind wenige, die das tun). Wer sein Leben in klassischen Karrierestufen – von der Teamleitung über eine Redaktionsleitung zur Chefredaktion hin zur Verlagsleitung – plant, ist in einem großen Konzern gut aufgehoben. In einer Festanstellung ist alles viel planbarer.

Mancher wiederum entdeckt innerhalb einer Festanstellung, wenn er eigenständig Projekte führt, dass er durchaus Fähigkeiten hat, die ein Freier braucht und bekommt Lust auf die Selbstständigkeit. Weil er als sein eigener Unternehmer die Werte, die ihm wichtig sind, hochhalten kann, was in der Festanstellung vielleicht nicht möglich war. Er kalkuliert mit ein, dass er vielleicht etwas weniger verdienen wird, dafür aber viel freier ist.

Sie coachen Medienprofis aus den Bereichen Print, Online, TV, Marketing, Verlag, Werbung und PR-Agentur. Wie können Sie Menschen helfen, die sich beruflich verändern wollen?

Durch gezielte Fragen fördere ich die unentdeckten Stärken der Coachees zutage, finde mit ihnen gemeinsam heraus, welches Potenzial noch in ihnen schlummert, was sie im Job erfüllt und wie sie am besten an ihr Ziel gelangen.

Neulich kam eine 28-jährige Frau zu mir, die das Glück und die Qual hatte, zwischen zwei Job-Angeboten wählen zu können: eins im Süden Deutschlands, eins im Norden in der Nähe ihres Freundes. Im Norden wollte sie ein Online-Start-Up haben, im Süden ein Traditionsunternehmen. Ihr Freund hatte ihr zum Start-Up geraten, auch, weil sie sich dann mehr sehen konnten. Als sie sich aber mit ihrer bisherigen Biografie auseinandergesetzt hatte und mit ihren Motiven, merkte sie: Ich habe bisher immer den Weg genommen, den andere für mich vorgezeichnet hatten. Sie nahm den Job im Süden, in dem sie nun eine Führungsposition hat. Denn sie entdeckte in unseren Gesprächen auch, dass sie Lust auf mehr Macht und ein gutes Gehalt hat. Dies hatte sie sich vorher nur nie eingestanden, es galt in ihrem Umfeld als uncool, sich im Job hochzuackern und in alten Hierarchien zu arbeiten. Das erste Mal traf sie eine berufliche Entscheidung wirklich für sich, auch wenn sie für ihre Freunde damit den biederen Konzernweg wählte.

In welchen Medien-Bereichen sehen Sie Chancen für interessante, gut bezahlte Jobs?

Bitte gehen Sie in die Wirtschaft, wenn Sie richtig viel Geld verdienen wollen! Man darf sich als Journalist auf keinen Fall mit Menschen in der Industrie vergleichen. Momentan wird Print noch besser bezahlt als Online. Aber die Branche entwickelt sich ja weg vom Printmagazin – nicht zuletzt deswegen, weil das Erlösmodell mit Anzeigen nicht mehr so funktioniert. Perspektivisch sind sämtliche digitalen Formen bis hin zu digitalen Events die Zukunft. Natürlich kann man nach dem Motto go with the flow sagen, ich bewege mich dahin, wohin sich der journalistische Markt bewegt und spezialisiere mich von vornherein beispielsweise auf Social Media Management. Wenn man gleich so einsteigt, wird man vermutlich große Chancen haben, solch eine Expertise zu entwickeln, dass man auch besser bezahlt wird. Beim Hörfunk wird tendenziell ein bisschen schlechter bezahlt; am besten werden Journalisten noch bei den großen Publikumsmagazin-Verlagen wie Gruner + Jahr entlohnt.

Wer sich selbst ein Bild von der Lage machen will: Es gibt die schöne, von den Freischreibern entwickelte Seite https://www.wasjournalistenverdienen.de, die ich jedem empfehlen kann. Da ist zu sehen, dass auch eine Chefredakteurin unter Umständen nur auf 60.000 Euro im Jahr kommt, während die männlichen alten Recken (ganz bewusst in der männlichen Form gesagt) vielleicht noch mit 200.000 Euro jährlich nach Hause gehen. Die Einstiegsgehälter, wenn man nach Tarif bezahlt wird, liegen bei 3.400 Euro monatlich, das große Mittelfeld verdient 4.500 Euro monatlich.

Welche Sätze man als Freiberufler bekommt? Die meisten machen sich nicht klar, dass man eigentlich die Akquise auf seinen Stundenlohn draufschlagen und auch mit einpreisen müsste, dass man am Wochenende und im Urlaub nicht arbeiten will. Es ist gut, dieses Denkmodell im Hinterkopf zu haben. Aber wer so geimpft loslegt als freier Journalist, wird niemals einen Auftrag bekommen. In einem Webinar wurden letztens 60 Euro als Stundensatz empfohlen; freie Journalisten verdienen momentan im Durchschnitt 22,50 Euro die Stunde. Wer jemals einen Klempner bestellt hat, weiß, dass er als Journalist drei Stunden arbeiten müsste, um seinen Handwerker für eine Stunde zu entlohnen. Das sollte einem klarmachen: Eigentlich muss man sich als Freiberufler so organisieren, seine Arbeitsweise so anpassen, dass man über diese 22,50 Euro hinauskommt. Was vielen schwerfällt: von vornherein eine Zwei- und Dreifachverwertung anzusprechen. Oder bei einem Interview noch 10 Tipps für ein anderes Magazin mitzumachen. Wenn man überlegt, wie man am meisten Geld aus dem Business schlagen kann, erfordert das ein unternehmerisches Handeln, was oftmals dem journalistischen Anspruch total widerspricht.

Diejenigen in den Reaktionen, die Freie buchen, kriegen ziemlich schnell spitz, ob jemand so mit Herzblut bei der Sache ist, dass er noch mal nacharbeitet und beispielsweise sagt: Ich habe noch einen besseren Experten gefunden. Das wird honoriert, indem man immer wieder Aufträge bekommt, aber eben zu diesem oft wirklich schlechten Stundensatz. Der Tagessatz für Online liegt jetzt bei 180 Euro, bei Print bei 230-250 Euro. Als ich anfing, gab es bei Print noch 400 Euro. Natürlich kann man bei Menschen, die einem wohlgesonnen sind, fragen: Können wir grundsätzlich über 20 Euro mehr reden, aber als Chefredakteur muss man das der Verlagsleitung gegenüber verargumentieren, warum man sein Budget an der Stelle überzogen hat und persönlich für den Freien in die Bresche springen.

Aber wer sich dafür entscheidet, Journalist zu werden, dem ist wahrscheinlich schon von vornherein klar: Diesen Job wählt man aus Leidenschaft für die Medien und auf keinen Fall der Bezahlung wegen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Fotocredit: Caren Detje.

Andrea Huss studierte Literatur, Theater und Psychologie. Nach einigen Jahren als Regieassistentin am Stadttheater Heidelberg realisierte sie Kulturbeiträge fürs Fernsehen. Sie blickt auf 20 Jahre in Führungspositionen in verschiedenen Verlagen zurück, in denen sie viel Erfahrung mit Teamaufbau und Mitarbeiterentwicklung sowie der Gestaltung von Umstrukturierungen sammelte. Sie war unter anderem tätig bei Gruner + Jahr, Jahreszeiten Verlag, Klambt, Springer, Motorpresse, Rowohlt, Emotion Verlag. Seit 2011 arbeitet sie als systemischer Management-Coach, ausgebildet nach dem Ansatz der Hamburger Schule. Zertifiziert ist sie vom Coaching-Verband dvct; die hohe Wirksamkeit ihres Coaching-Ansatzes ist wissenschaftlich bestätigt worden durch die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Die Expertin für intrinsische Motivation arbeitet mit der Motivations-Potenzial-Analyse MSA. Speziell für Medienprofis, die sich beruflich verändern wollen oder müssen, entwickelte sie ein „Plan B”-Einzelcoaching, das dabei hilft, sich entsprechend seiner Stärken neu aufzustellen. andreahuss.de

Kommentare
  1. Siegfried Huss sagt:

    Sehr lesenswert!