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Kein K. o. durch KI – aber durchaus Wirkungstreffer

Anmerkungen zum Einfluss künstlicher Intelligenz auf den Sportjournalismus.

Künstliche Intelligenz (KI) verändert alle gesellschaftlichen Bereiche – und damit auch die Medienbranche. Für Verlage und Sendeanstalten bietet KI vor allem die Chance auf Personal- und Kostenersparnis, was für manche Sportjournalist*innen jobgefährdend wird. Einige der hier szenierten Utopien könnten schneller Realität werden, als viele Medienmitarbeiter*innen im Sportressort glauben.

„Krisenmodus“ ist das Wort des Jahres 2023. So hat es die Gesellschaft für deutsche Sprache im Dezember festgelegt und verkündet. Doch Begriffe wie „ChatGPT“, „Bots“ oder „Artificial-Intelligence-Tools“ wären für diese „Auszeichnung“ ebenso geeignet gewesen – so inflationär, wie diese in den vergangenen zwölf Monaten die öffentliche Diskussion bestimmt haben. Vorteile in Sachen Effektivität und Effizienz wurden dabei ebenso beschrieben wie Gefahren der Unkontrollierbarkeit der Systeme.

Der Einzug von „künstlicher Intelligenz“ in alle gesellschaftlichen Subsysteme wird weiter forciert und betrifft auch die Medienbranche im Allgemeinen sowie den Sportjournalismus im Speziellen. Die Anwendungsoptionen sind facettenreich und werden in rasanter Geschwindigkeit weiterentwickelt.

KI „schreibt“ Spielberichte

Bereits seit rund vier Jahren setzen verschiedene Zeitungsverlage bei der Fußball-Berichterstattung aus den Amateurligen auf Artikel, die von Computer-Programmen generiert werden. Spieldaten wie beispielsweise Tore, Torschützen, Gelbe und Rote Karten, Auswechslungen und Tabellenplätze der beteiligten Teams, ergänzt durch ein paar fußballtypische Phrasen und Floskeln, genügen der Software, um Artikel über die Partien zu erstellen. Für die Leser*innen ist der Unterschied zu Texten, die von Sportredakteur*innen geschrieben wurden, kaum noch zu erkennen.

Die Textverarbeitung bzw. Texterstellung über KI wird immer besser, immer schneller, immer umfangreicher. Bereits im Februar 2020 berichtete der Deutschlandfunk darüber, dass auf dem DFB-Portal „fussball.de“ bis zu 75.000 Texte zum Amateurfußball an jedem Wochenende KI-gestützt generiert werden (Osterhaus 2020) – aber nur, wenn die Vereine vorher die relevanten Spieldaten online ins DFBnet eingegeben haben.

Auslagerung oder Auflösung

Durch den Einsatz von KI sparen Zeitungsverlage viel Geld, weil Personal reduziert oder abgebaut werden kann, bis hin zur Ausgliederung oder gar Abschaffung ganzer Abteilungen. Selbst die renommierte New York Times löste im Sommer 2023 nach mehr als 100 Jahren ihre Sportredaktion auf und platziert seitdem den Sport auf der für 550 Millionen Dollar erworbenen Website The Athletic (Müller 2023).

Auch deutsche Zeitungshäuser forcieren durch den verstärkten Einsatz von KI den Umbau oder die Schließung mancher Redaktionen. Der Springer-Konzern, nationaler Branchenführer im Printsektor, setzt seit dem 01.01.2024 seine neu entwickelte Strategie „Digital only“ konsequent um. Die jahrelange Auflagenreduzierung bei Springers wichtigstem Blatt, der Bild, auf nur noch rund eine Millionen Exemplare pro Tag hat zu erheblichen Einnahmerückgängen im Verkauf sowie im Anzeigengeschäft geführt. Mittels KI werden nun zur Kompensation der Verluste die Personalkosten gesenkt. Allein bei Bild sollen 200 Personalstellen wegfallen und in allen Regionalausgaben des Boulevardblattes wird die Regionalberichterstattung auf eine Seite Lokales und eine Seite Sport reduziert (Hanfeld 2023). Ab Sommer 2024 wird dann zusätzlich die News-Plattform Upday ausschließlich mit KI betrieben, was den Nachrichtenjournalismus bzw. die Distribution von Nachrichten weiter verändern wird (Bartl 2023).

KI lässt tote Reporter auferstehen

Aber nicht nur für die Printbranche, sondern auch für Radio und Fernsehen ergeben sich künftig massive Modifizierungsvarianten. Denn mittels KI können nicht nur Texte, sondern auch Stimmen erzeugt werden. Entsprechend wurden bei der Team-Europameisterschaft der Leichtathleten im Sommer 2023 bestimmte Wettbewerbe von KI kommentiert. Dafür wurde die Stimme der ehemaligen britischen Leichtathletin Hanna England mittels KI generiert und so ein 24-Stunden-Live-Blog in einen Audiostream umgewandelt (N.N. 2023).

Und was bei Lebenden funktioniert, das wird auch bei Verstorbenen möglich sein. Denn KI kann die Stimmen toter Reporter*innen und Kommentator*innen mit genügend Audiodateien aus den Archiven nachbauen, neu konfigurieren und dann auf aktuelle Sportereignisse transferieren. Ähnlich dem, wie mit den Stimmen der Sky-Mitarbeiter Wolff Fuß und Frank Buschmann jahrelang verschiedene Varianten des Computerspiels „FIFA“ verbal begleitet worden sind, können tote Reporter-Legenden wieder zum Leben erweckt werden – stimmlich zumindest.

Für Fußball-Nostalgiker*innen wäre es vielleicht sogar besonders reizvoll, wenn beispielsweise die Spiele der in ein paar Monaten hierzulande stattfindenden EURO 2024 wieder von Ernst Huberty oder Rudi Michel kommentiert würden. Und für die Hardcore-Antiquierten ließe sich sicher auch noch Herbert Zimmermann, der 1954 den WM-Final-Sieg der deutschen Nationalelf über Ungarn übertrug, wieder „ausgraben“ und für künftige Fußball-Übertragungen irgendwie adaptieren. Solche Szenarien sollten aktuelle Sport-Kommentator*innen nachdenklich machen.

KI erschafft Charaktere

Was für Text und Stimme gilt, macht auch vor der künstlichen Kreation ganzer Personen nicht halt. Zu Beginn dieses Jahres wurde unter der Überschrift „Deutscher Fußballer blamiert sich bei KI-Model“ berichtet, dass ein namentlich nicht genannter Sport-Profi mit einem artifiziell generierten Charakter namens „Emily Pelligrini“ mehrfach Kontakt aufnehmen wollte. Auch Tennisspieler und Mixed-Martial-Arts- (MMA-)Kämpfer wollten die Kunstfigur kennenlernen, der auf Instragram noch weitere 150.000 reale Menschen folgen (Srocke 2024).

Die durch verschiedene Videos stolzierende, attraktiv sowie verblüffend menschlich gestaltete optische Täuschung hat also ihre Wirkung. Und wenn dies derart funktionieren kann, dann lassen sich künftig auch Moderator*innen zur Präsentation von Sportevents und Sportübertragungen künstlich nachbauen – und nicht nur die.

Durch KI Fakes statt Fakten

Durch KI lassen sich Fake-Personen erfinden, Fake-Voices entwickeln und Fake-News generieren und verbreiten. Beim Publikum müsste dies alles für veritable Irritationen sorgen, weil gegen oberste Prinzipien des Journalismus verstoßen wird: „Fakten statt Fakes“ muss die Devise lauten. Oder, wie Walther von La Roche in seinem Standardwerk „Einführung in den praktischen Journalismus“ Tausenden von Journalistik- und Publizistik-Studierenden „eingebläut“ hat: „Die Fakten müssen stimmen“ (La Roche 2013, S. 117). Auch alle Landesmediengesetze und der Medienstaatsvertrag verpflichten die Berufsangehörigen zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung.

Natürlich passieren Menschen Fehler und sie können auch Fakes bewusst oder fahrlässig in Umlauf bringen. Aber diese Personen kann man dann haftbar machen – was bei von KI verursachten und kolportierten Fehlern schwieriger werden dürfte.

KI wird das Tempo nicht nur im Sportressort verschärfen. Aktualität schlägt Akribie. Das traditionelle Verständnis von Qualitätsjournalismus wird im digitalen Zeitalter auf eine völlig neue Probe gestellt.

Journalismus ist mehr als Informationsübermittlung

Darüber hinaus werden sich journalistische Berufsprofile verändern. Bestimmte Tätigkeiten, die von KI übernommen werden können, werden sukzessive wegfallen. Manche schneller, als vielen Berufsangehörigen lieb sein dürfte. Kameraleute, Tontechniker*innen, Blattmachende und Korrekturleser*innen wird man in der bisherigen Form und in der jetzigen Anzahl künftig nicht mehr benötigen.

Beim Mediensport steht die klassische sogenannte 1:0-Berichterstattung nicht nur auf dem digitalen Prüfstand, sondern längst zur Disposition. Und bei der Distribution von News konkurrieren seit Jahren gut ausgebildete professionelle Journalist*innen mit Millionen Medienlaien, die über soziale Plattformen vermeintlich Wichtiges oder tatsächlich Wissenswertes national wie international posten und twittern – nicht nur, aber auch über den Sport.

Doch Journalismus ist weit mehr als nur die pure Übermittlung aktueller Informationen. Zu den sogenannten normativen Funktionen, die das System Journalismus für andere Subsysteme und für die Gesellschaft zu erbringen hat, gehören auch Einordnung, Bewertung, Meinungsbildung sowie Kritik und Kontrolle.

Die Protagonisten – oder besser: die Profiteure – eines hochgradig kommerzialisierten Spitzensports halten solche journalistischen Grundfunktionen eher für kontraproduktiv. Denn mediale Kritik und publizistische Kontrolle konterkarieren die ökonomische Vermarktbarkeit von Events und Athlet*innen. Gleichwohl sind sie konstitutiv, um die Authentizität des Sports zu erhalten.

KI kann zig Billionen Datensätze in wenigen Zeiteinheiten screenen und neu konfigurieren. Aber was leistet KI in Sachen investigativer Recherche? Wie kann KI helfen, Doping-Skandale oder Wett-Manipulationen im Sport aufzudecken, wofür oft zeitaufwendige Recherchen und personalintensive Hintergrundgespräche notwendig sind? Und zwar Gespräche von Mensch zu Mensch und nicht von Mensch zu Maschine, denn Vertrauen ist hier die Leitwährung des Austauschs. Welcher Whistle-Blower wird sein Wissen über strafbewährte Missstände in einem Sportverband oder Sportverein wohl einem Computer-Programm einflüstern statt einer Journalistin oder einem Journalisten?

Fazit

Künstliche Intelligenz kann den klassischen Sportjournalismus ergänzen, komplett ersetzen wird sie diesen jedoch noch lange nicht. Gleichwohl sorgen „ChatGPT“, „Bots“ oder „Artificial-Intelligence-Tools“ in vielen Redaktionen für zusätzlichen Druck und setzen einzelne Berufsangehörige erheblich unter Stress – vor allem die, deren Tätigkeiten schon jetzt das neue Redaktionsmitglied Roboter übernehmen könnte. Insofern lautet dann auch für manche Sportjournalist*innen das Wort des Jahres 2023: „Krisenmodus“.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).


Der Autor PROF. Dr. MICHAEL SCHAFFRATH, M.A., ist Leiter des Arbeitsbereichs Medien und Kommunikation am Department Health and Sport Sciences der TUM School for Medicine and Health. Vorherige wissenschaftliche Stationen: Deutsche Sporthochschule Köln, TU Dresden sowie die Universitäten in Lüneburg, Gießen und Koblenz-Landau. Schaffrath ist Herausgeber der Schriftenreihe „Sportpublizistik“ sowie der Sammelbände „Sport-PR und PR im Sport“, „Die Zukunft der Bundesliga“ und „Traumberuf Sportjournalismus“. Zudem ist er Autor von elf Fachbüchern und 125 Aufsätzen zu diversen Themen der Sportkommunikation. Kontakt: michael.schaffrath@tum.de

 

 


Literatur

Bartl, M. (08.12.2023): KI ersetzt Redaktion: Springer dampft News-Angebot Upday ein. In: https://kress.de/news/beitrag/146790-ki-ersetzt-redaktion-springer-dampft-news-angebot-upday-ein.html. Zugriff am 09.12.2023.

Hahnfeld, M. (19.06.2023): Bei „Bild“ fallen mehr als 200 Stellen weg. In: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/bild-zeitung-entlaesst-mehr-als-200-mitarbeiter-ki-haelt-einzug-18974856.html. Zugriff am 20.06.2023.

La Roche, W. von (2013): Einführung in den praktischen Journalismus. 19. Aufl. Springer VS.

Müller, Y. (11.07.2023): „New York Times“ löst Sportressort auf. In: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/new-york-times-gliedert-sportberichterstattung-an-the-athletic-aus-19025890.html. Zugriff am 20.07.2023.

N.N. (14.06.2023): https://sportbild.bild.de/sportmix/2023/sport-mix/kuenstliche-intelligenz-kommentiert-team-europameisterschaft-der-leichtathletik-84325932.sport.html. Zugriff am 15.06.2023.

Osterhaus, S. (02.02.2020): Wenn künstliche Intelligenz die Sportberichte schreibt. In: https://www.deutschlandfunkkultur.de/amateurfussball-wenn-kuenstliche-intelligenz-die-100.html. Zugriff am 20.12.2023.

Srocke, R. (05.04.2024): Deutscher Fußballer blamiert sich bei KI-Model. In: https://www.bild.de/sport/fussball/fussball/er-wollte-sie-unbedingt-kennenlernen-deutscher-fussballer-blamiert-sich-bei-ki-m-86640512.bild.html. Zugriff am 05.01.2024.

Kommentare
  1. Lieber Herr Schaffrath,

    nach dem Lesen Ihres Artikels muss ich froh sein nicht im Sportressort zu schreiben. Zwischen den Zeilen lese ich, dass es doch auch eine Chance sein kann mit KI zu arbeiten statt sie als Konkurrenz zu sehen. Die Maschine fasst mir Ergebnisse zusammen, liefert mir Daten zu Athlet:innen und hilft mir bei der Recherche. Als Journalistin gehe ich hin zu den Sportlern, spreche mit ihnen, baue das von Ihnen erwähnte Vertrauen auf und kann meinen Leser:innen viel mehr bieten, als Statistiken. Die Maschine gibt mir dafür zu Zeit und kümmert sich um die langweilig Arbeit. Von daher sage ich: Chancenmodus!

    Grüße
    Valerie Wagner

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