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KI-Jobs im Journalismus: Wettrennen gegen die Technologie

AI Engineer gesucht, KI-Prompter gesucht, KI- und Datenexperte gesucht – selbstverständlich m/w/d. Medienhäuser fahnden nach Fachkräften, um Redaktion, Marketing und Management mithilfe künstlicher Intelligenz (KI), englisch „Artificial Intelligence“ (AI), zu optimieren. Rollt da bereits eine neue Jobwelle durch die deutsche Verlagslandschaft, oder handelt es sich noch um vereinzelte „Pionier-Stellen“?  Ein KI-erfahrener Chefredakteur und ein Medienexperte geben Auskunft.

„Für den nächsten Schritt Richtung Zukunft suchen wir KI- und Datenexperten“, annonciert die Mediengruppe Magdeburg, Herausgeber der Volksstimme und der Mitteldeutschen Zeitung. „Pioniergeist gesucht! Wir suchen eine:n engagierte:n AI Engineer, der/die … die Entwicklung journalistischer Produkte auf der Basis von generativen KI-Modellen vorantreibt“, schreibt die Ippen Gruppe mit Blättern wie der Frankfurter Rundschau oder dem Münchner Merkur. Und die Funke Mediengruppe, zu der unter anderem die Berliner Morgenpost und das Hamburger Abendblatt gehören, sucht einen „Visual Designer Social Media & AI“. Er oder sie soll AI-Tools und Technologien anwenden, „um die Qualität und Effektivität der visuellen Inhalte zu steigern“.

Durchstreift man Jobbörsen auf der Suche nach KI-verbundenen Stellen im Journalismus, stößt man immer öfter auf solche Angebote. Oft sind sie mit ungewöhnlichen Namen versehen und sie werden auf unterschiedliche Weise beschrieben. Dabei sind sie meist eher technologisch als redaktionell getrieben. Oder sie adressieren Optimierungen der Personalisierung und Auslieferung von Content und ganz generell planerische Prozesse.

Verlässliche Jobprofile oder Notlösungen?

Zumindest KI-Prompter:innen und AI Engineers oder KI-Ingenieur:innen tauchen als Funktionsbeschreibungen in Stellenanzeigen immer wieder auf. Handelt es sich dabei bereits um verlässliche Jobprofile, auf die man sich einstellen kann, oder schafft sich hier jedes Medienhaus noch eigene Sonder- und Insellösungen?

„Die aktuellen neuen Jobprofile sind oft noch aus der Not heraus geboren. Da hat man schnell mal Funktionsbeschreibungen rausgehauen, von denen man vermutet, dass man sie jetzt gerade brauchen könnte“, bestätigt Stephan Weichert. Der Journalist hat den gemeinnützigen Think Tank VOCER Institut für Digitale Resilienz gegründet und begleitet Unternehmen und Organisationen durch den digitalen Medienwandel.

Stephan Weichert ist Soziologe, Medienwissenschaftler, Autor, Filmemacher und Transformationsforscher. Er berät Unternehmen, Verbände und Organisationen in Fragen rund um Strategieentwicklung, Krisenkommunikation, digitalen Kulturwandel sowie Hassrede und nachhaltige Medieninnovation. 2009 hat er die Non-Profit-Organisation VOCER mitgegründet und 2014 die Digitalkonferenz VOCER Innovation Day mit ins Leben gerufen.

Stephan Weichert ist Soziologe, Medienwissenschaftler, Autor, Filme-macher und Transformationsforscher. Er berät Unternehmen, Verbände und Organisationen in Fragen rund um Strategieentwicklung, Krisen-kommunikation, digitalen Kulturwandel sowie Hassrede und nachhaltige Medieninnovation. 2009 hat er die Non-Profit-Organisation VOCER mitgegründet und 2014 die Digitalkonferenz VOCER Innovation Day mit ins Leben gerufen.

Hinter all den kurzfristigen Hypes sieht Weichert aber auch zwei wichtige Trends, die die zukünftige KI-Joblandschaft prägen werden. „Ganz generell gesprochen gibt es zwei Bereiche im KI-Journalismus, die immer wichtiger werden. Einer ist das Prompting, das Formulieren von Vorgaben und Befehlen an die KI – eine Tätigkeit, die man bis zur Virtuosität immer weiter optimieren kann. Der andere ist das Factchecking, also das Überprüfen, welche Inhalte von einer KI geschrieben wurden und welche von Menschenhand“, fasst Weichert zusammen.

Das KI-Prompting als Jobprofil beobachtet er bereits seit etwa einem Jahr in den Stellenausschreibungen. Das KI-Factchecking entwickle sich gerade zum neuen Tätigkeitsfeld. Dieser Funktionsbereich sei nicht nur in kommerziellen Medienunternehmen gefragt, sondern auch bei Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und unabhängigen Instituten, wie zum Beispiel bei der Organisation NewsGuard, die Nachrichtenportale überprüft, deren Inhalteerstellung durch KI-Chatbots gespeist wird. Zudem müssten KI-Factchecker:innen auch dafür sorgen, dass künstliche Contenterstellung dem Publikum deutlich genug gemacht wird. „Hier entsteht ein neues Berufsfeld für Journalisten, die dann so etwas wie eine Selbsthygiene der Branche betreiben, oder eine Form der Medienkritik“, ist sich Weichert sicher.

KI im Arbeitsalltag bei Studio 47

Einen anderen Weg bei der Integration von KI geht der Duisburger Lokal TV-Sender Studio 47. Das kleine Medienhaus beschäftigt 20 Mitarbeitende und erreicht etwa 650.000 TV-Zuschauer:innen in NRW und weitere bundesweit über Magenta TV. Chefredakteur Sascha Devigne sammelt seit Jahren Erfahrungen im redaktionellen Einsatz von KI-Tools. Allerdings integriert er neue KI-Workflows mithilfe selbst entwickelter Software ins Tagesgeschäft und arbeitet mit seiner Stammmannschaft, ohne spezielle neue Funktionsstellen zu schaffen.

Weil Devignes Redaktion nicht nur sehr intensiv mit KI arbeitet, sondern auch eigene KI-Tools entwickelt und weiterlizenziert, ist er gerade ein gefragter Speaker und Podiumsgast, zuletzt bei der Media Tech Hub Conference in Potsdam. Besonders BotCast, das zentrale webbasierte, von Studio 47 selbst entwickelte KI-Produktionstool, greift tief in die Tagesarbeit ein, indem es klassische Produktionsschritte automatisiert. Allerdings bisher nur bei den klassischen „Nachrichten im Film“, NiF, also den kurzen Videos zu aktuellen Ereignissen, die mit einer Sprecherstimme als „Voice-over“ hinterlegt werden.

BotCast generiert die Texte aus Agenturmeldungen, Pressemitteilungen und persönlichen Notizen der Redakteur:innen. Dann steuert die Anwendung das Einsprechen des Voice-over mithilfe einer synthetisierten Stimme. Dafür hat Studio 47 die Stimmen seiner Station Voices digitalisiert und gesampelt. Dann übernimmt die Software den kompletten Videoschnitt, indem sie, passend zum Text, aus Archivmaterial oder den tagesaktuellen Aufnahmen der Kameracrews das Bildmaterial zusammenstellt und editiert. Auch die Text-Inserts kommen von BotCast. Letztlich liefert die KI so sendefähige Nachrichtenfilme für die Sendeabwicklung. Devigne ist inzwischen auch in einer komplett KI generierten Moderation des Studio 47-Nachrichtenmagazins zu sehen.

Alle Produktionsschritte sollen von den Redakteur:innen noch einmal gecheckt und freigegeben werden. Die Zuschauer:innen erhalten den Hinweis „Erstellt mit KI-Unterstützung“.

Sascha Devigne ist Chefredakteur von STUDIO 47, dem einzigen privaten regionalen TV-Sender in NRW. Zu Studio 47 kam er nach Stationen bei der Rheinischen Post in Düsseldorf und beim Deutschen Ärzte Verlag in Köln. Devigne ist Absolvent der Akademie für Publizistik und der London School of Journalism, gehört zur Jury des NRW-Bürgermedienpreises und kuratiert die Online-Akademie für lokalen TV-Journalismus. 2013 wurde er mit dem Deutschen Regionalfernsehpreis ausgezeichnet.

Sascha Devigne ist Chefredakteur von STUDIO 47, dem einzigen privaten regionalen TV-Sender in NRW. Zu Studio 47 kam er nach Stationen bei der Rheinischen Post in Düsseldorf und beim Deutschen Ärzte Verlag in Köln. Devigne gehört zur Jury des NRW-Bürgermedienpreises und kuratiert die Online-Akademie für lokalen TV-Journalismus. 2013 wurde er mit dem Deutschen Regionalfernsehpreis ausgezeichnet.

„Eigene Funktionsstellen in Verbindung mit der BotCast-Produktion gibt es bei uns keine. Es sind unsere klassischen Nachrichten-Redakteur:innen, die die Software bedienen“, sagt Devigne. Deshalb bindet er seine Redaktion auch in die Weiterentwicklung der KI ein. „Alle zwei Wochen trifft sich unsere Innovations-Redaktion zu Feedbackrunden und bespricht dann immer auch die Anforderungen der Kolleg:innen aus den Redaktionen, die aus deren täglicher Arbeit mit BotCast entstehen“, beschreibt Devigne den Prozess bei Studio 47.

Seit April lizenziert Studio 47 den BotCast auch an andere Redaktionen in Deutschland und Österreich. Zu den bisher 13 Kunden gehören unter anderem die Funke Gruppe, RNF, RegioTV, Sachsen Fernsehen und Tirol TV. SAT 1 Bayern habe gerade angefragt, sagt Devigne.

Ein weiteres KI-Tool in der hauseigenen Entwicklung ist ClipSense – dieses Projekt wird auch durch das Medieninnovationszentrum Babelsberg (MIZ) gefördert.

Braucht KI neue Jobprofile?

Devigne beschäftigt das Thema Automatisierung im Journalismus bereits seit Jahren. Auslöser war eine Studie des IAB, des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. „Die haben bereits vor Jahren herausgefunden, dass im Journalismus eine Automatisierungsquote von etwa 20 Prozent möglich wäre. Jeder fünfte Arbeitsschritt könnte laut IAB automatisiert werden“, sagt er. Der Job Futoromat des IAB zeigt Einsparpotenziale für journalistische Tätigkeiten sowie mögliche Anpassungsweiterbildungen.

Bei einer hausinternen Analyse der Jobstrukturen bei Studio 47 hat Devigne festgestellt, dass die Produktion der NiF zwar eine hoch standardisierte Tätigkeit ist, sie aber durchaus jeweils bis zu zwei Stunden in Anspruch nehmen kann. Nach der Umstellung der Produktion auf BotCast dauert sie nur noch etwa fünf bis zehn Minuten. „Wir haben jetzt also zeitliche Freiräume geschaffen, in denen die Kolleg:innen inhaltlich viel dichter arbeiten, tiefer recherchieren, mehr drehen und längere Live-Strecken produzieren können – die abendliche Prime-Time-Sendung konnten wir so um etwa zehn Minuten verlängern“, ist das Fazit des Chefredakteurs. Bei Studio 47 hat der KI-Einsatz bisher nicht zu Entlassungen geführt. Es sei sogar eine zusätzliche redaktionelle Stelle eingerichtet worden, fügt er hinzu.

Stephan Weichert von VOCER dagegen sieht die Integration von KI in bestehende Arbeitsverhältnisse dagegen eher pessimistisch: „Der Boom der KI-Stellen geht quer durch alle Medien. Einerseits werden Stellen gekürzt – wer über 50 ist und bei drei nicht auf dem Baum, wird rausgeekelt und abgefunden. Auf der anderen Seite versucht man, die so entstehenden Lücken durch junge, noch schlecht bezahlte Kolleg:innen zu füllen, die sich dann an die KI setzen sollen“, beklagt er. Weichert sagt, dass er Belege für diese Beobachtung hat, die Quellen aber leider nicht nennen dürfe.

Diese Überlegungen würden sich aber quer durch die Medienlandschaft bewegen – von der kleinen Regionalzeitung bis zu großen Medienmarken wie Stern, Zeit oder Spiegel. Die Motive seien oft wirtschaftlicher Natur und beträfen mögliche Einspareffekte. „Darüber denken alle nach, quer durch die Mediengattungen. Dass jemand beschlossen hat, ganz die Finger von solchen Ideen zu lassen, habe ich bisher noch nicht erlebt“, stellt Weichert fest.

Fazit

Welche der beiden Projektionen in Bezug auf die Integration von KI in bestehende Jobprofile sich durchsetzen wird – die optimistische Sicht bei Studio 47 oder die eher pessimistische Prognose von Medienexperte Stephan Weichert – ist heute schwer abzusehen.

Werden Journalist:innen mithilfe von intuitiv nutzbaren generativen KI-Tools ihre zeitfressenden Standardjobs automatisieren, um dann selbst mehr und qualitativ besseren Content erstellen zu können? Denn ihre Professionalität, und das sieht auch Weichert so, wird immer noch für die vorangehende Beauftragung (Prompting) der KI und für die abschließende Qualitätskontrolle gebraucht werden. Oder werden ganz neue KI-Funktionsstellen „übernehmen“ und traditionelle Journalist:innen – auch in ihrer Watchdog-Funktion – langsam ablösen?  Bei Qualitätsmedien ist das schwer vorstellbar. Sie werben offensiv mit ihren (realen) Autor:innen und Kommentator:innen und verkaufen sich auch über diese „Markenbotschafter:innen“.

Wie schnell aber gleichzeitig der Bereich der sogenannten UKIN, der unzuverlässigen KI-generierten Nachrichten- und Informationswebseiten wächst, hat das New Yorker Medien-Rating-Unternehmen Newsguard gerade wieder öffentlich gemacht.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).


Der Autor Gunter Becker schreibt seit Beginn der 1990er Jahre als freier Autor über elektronische Medien, Internet, Multimedia und Kino Anfangs für die taz, dann für den Tagesspiegel und im neuen Millennium vorwiegend für Fachmagazine, wie ZOOM und Film & TV Kamera. Für das verdi-Magazin Menschen Machen Medien verfolgt er die Entwicklung nachhaltiger Filmproduktion, die Diversität in den Medien und neue Medienberufe.

 

 

 

 

 

 

 

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