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Klimajournalismus – über Herausforderungen und Perspektiven eines zukunftsträchtigen Ressorts

Ein Interview mit der mehrfach ausgezeichneten Klimajournalistin und Buchautorin Annika Joeres.

Für ihre investigativen Artikel über den Klimawandel wurde Annika Joeres vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Die Klima- und Energiereporterin berichtet im Interview mit dem Fachjournalist darüber, wie sich ihr Ressort von den Anfängen bis heute gewandelt hat, was sie von Medienangeboten erwartet und in welchem Bereich sie großes Potenzial für junge Kolleg:innen sieht.

Wie kamen Sie als Romanistin und Politikwissenschaftlerin zum Klimajournalismus?

Ich bin über verschiedene Stationen zum Ziel gekommen – mit meinem Studienabschluss war ich nicht festgelegt. Zunächst war ich Vizeleiterin der taz NRW, dann habe ich bei der Frankfurter Rundschau gearbeitet, bevor ich in Frankreich bei einer Nachrichtenagentur gelandet bin. Zwischendurch habe ich noch etwas ganz anderes gemacht, nämlich eine Ausbildung zur Bergführerin.

Als ich dann 2015 bei CORRECTIV anfing, habe ich sehr früh erkannt: Der Klimawandel ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen. Und dazu wird noch viel zu wenig, gerade investigativ, publiziert.

Sie setzen sich nicht nur in Artikeln, sondern auch in Büchern intensiv mit dem Thema auseinander. Ihre Co-Autorin Susanne Götze habe ich dazu vor fünf Jahren für den Fachjournalist interviewt. Wie hat sich das Berufsbild „Klimajournalist:in“ im Lauf der Zeit verändert?

Am Anfang war es eine Nische, damals standen wir relativ alleine damit da. Neben meiner Co-Autorin Susanne Götze und mir gab es nur noch eine Handvoll andere spezialisierte Fachjournalist:innen. Zu dieser Zeit wurde der Umweltjournalismus als „Gedöns“ bezeichnet und ein bisschen belächelt. Als hartes Ressort war er nicht so richtig anerkannt. Häufig ging es darum, in Artikeln zu erklären „Was ist der Klimawandel?“, „Welche Auswirkungen hat er?“, „Was macht der Weltklimarat?“.

Mittlerweile ist für die Mehrheit der deutschen Medien offensichtlich, dass es sich im Klimajournalismus um ressortübergreifende Themen handelt. Die reichen von Gesundheit über Kultur – über Klimakunst können beispielsweise Feuilletondebatten  geführt werden – bis hin zu Wirtschaft und Politik.

Die „Klimaschmutzlobby“ zu beleuchten war damals das Neue, das wir zu unserem Schwerpunkt gemacht haben. Dabei geht es darum, den Lobbyismus in der Klimapolitik unter die Lupe zu nehmen und zu hinterfragen: Warum kommen wir bei der Bewältigung der Klimakrise so wenig voran?

Es gibt immer mehr Newsletter, die sich mit der Klimakrise beschäftigen, wie der „Klimafreitag“ der Süddeutschen Zeitung oder „Klimajournalismus.de“ des Journalisten Lorenz Matzat. Auch Podcasts widmen sich dem Thema (wie die „Klimazentrale“ des SWR oder „1,5 Grad – der Klimapodcast mit Luisa Neubauer“ von Spotify), das Online-Magazin „Klimareporter“ oder der Instagram-Kanal „@klima.neutral des WDR. Das klingt erst einmal gut! Was würden Sie sich von Medienangeboten wünschen?

Dass Kolleg:innen die relevanten Diskussionen führen. Gute Klimajournalist:innen können einordnen, was wirklich wichtig ist in der Klimapolitik – und was bloß ein Nischenthema.

In den Diskussionen um zukünftige Techniken wie die Speicherung von CO2 oder anderen Treibhausgasen ist es beispielsweise ganz wichtig zu gucken, welche Rolle das überhaupt spielt. Was ist wirklich hilfreich, um die Erderwärmung zu verhindern? Der Fleischkonsum ist zum Beispiel dabei entscheidend, ob wir die Klimaziele erreichen. Selbst die Reinheit des Grundwassers hängt mit der Tierhaltung zusammen.  Die Medien sollten in dem politischen Kleinklein der einzelnen Kampagnen das große Ganze nicht aus den Augen verlieren.

Was sollten Klimajournalist:innen den Leser:innen mit auf den Weg geben?

Man muss ehrlicher als bisher sagen: Wenn wir die Klimaziele des Pariser Klimavertrags, den die Bundesrepublik Deutschland unterschrieben hat, erreichen und zukünftigen Generationen ein lebenswertes Dasein sichern wollen, dann ist damit verbunden, dass jeder von uns sein Leben ändert. Dass es mit diesem Konsum, mit diesem Lebenswandel eben nicht geht. Das muss klar benannt werden – da dürfen weder die Politik noch die Medien den Leser:innen falsche Tatsachen vorgaukeln.

Dieses Bewusstsein fehlt. Dabei steht außer Frage, dass wir nicht an zwei Minischräubchen drehen müssen, um die Klimakrise zu lösen: Es bedarf weitreichender Änderungen im Alltag der Menschen. Änderungen, die meiner Überzeugung nach durchaus positiv für das Leben sein können. Das geht ein bisschen unter in der Berichterstattung.

Also verstehen Sie Klimajournalismus auch als Anleitung zu ökologischem Leben?

Wir sind kein Lifestyle-Ratgeber, aber wir ermächtigen die Leser:innen schon dazu, Zusammenhänge zu verstehen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Sie sollen durch unsere Arbeit durchschauen, welche Folgen SUVs oder Fleischkonsum haben.

Was macht das Ressort für Sie so spannend?

Es gibt unendlich viele interessante Themen. Es geht im Klimajournalismus um knallharte Wirtschaftsrecherchen, um Energiepolitik, um europäische Politik, um Lobbyismus.

Wo liegen Ihre Schwerpunkte?

Aktuell habe ich mich erneut mit den Pensionsfonds beschäftigt. Damit hatte ich schon 2016 begonnen – aus der Idee heraus, dass es für die Klimapolitik und letztendlich für die Zukunft des Planeten entscheidend ist, wohin öffentliche Gelder fließen. Denn das bestimmt natürlich darüber, welche Branchen weltweit gestärkt werden und welche eben nicht – und damit, wie der Konsum und die Welt von morgen aussehen.

Pensionsfonds gehören zu den größten Anlegern an Finanzmärkten. Der bekannteste ist der norwegische Pensionsfonds, der als großer Player auf den internationalen Märkten agiert. Wir haben uns auch die Pensionsfonds unserer 16 Bundesländer angeguckt. Und herausgefunden: Zehn davon tätigen mit ihren Pensionsfonds klimaschädliche Investitionen von vielen Hundert Millionen Euro, zum Beispiel in die weltweit größten Öl- und Gaskonzerne. Dort ein Umdenken herbeizuführen, würde viel für den Schutz der planetaren Gesundheit bewirken.

Spannende Recherchen! Was macht guten Klimajournalismus aus?

Die Kriterien sind nicht grundsätzlich anders als generell im Journalismus: Versierte Klimajournalist:innen bleiben nicht beim Beschreiben stehen, sondern hinterfragen kritisch alles, was von links bis rechts, von grün bis schwarz beschlossen wird: Wer sind die Profiteure politischer Entscheidungen, von Subventionen oder Gesetzen? Wer hat etwas beschlossen – ist das frei von Interessenkonflikten? Nützt es der gesamten Gesellschaft oder nur einem Teil?

Die Antworten darauf sollten Kolleg:innen in ihren Artikeln liefern.

Welche Qualifikationen und Eigenschaften braucht es dafür?

Unabdingbar für guten Klimajournalismus ist Beharrlichkeit. Man muss dranbleiben können, immer noch einmal nachhaken, wenn man keine Antworten bekommt – das ist teilweise sehr mühsam. Für meinen Artikel über die Pensionsfonds habe ich mit meiner CORRECTIV-Kollegin beispielsweise über Monate hinweg recherchiert. Außerdem ist ein gewisses Zahlenverständnis hilfreich, um Dimensionen von Gesetzen kritisch hinterfragen zu können und die Relevanz von Maßnahmen und Gesetzen zu bewerten.

Und dann ist es natürlich auch nicht schlecht, wenn man ein bisschen Empathie mit der jüngeren Generation hat, die wegen der Klimakrise um ihre Zukunft bangt. Das sind die 20-, 25-Jährigen oder noch Jüngeren.

Welchen Beitrag kann der Journalismus zur Bekämpfung der Klimakrise leisten?

Klimaschutz ist etwas, was jeden Menschen von morgens bis abends betrifft. Und zwar in jedem Lebensbereich – von Verkehr über Ernährung bis hin zum Urlaub. Daher wollen wir die Bürger:innen durch unsere investigativen Geschichten darüber aufklären, wer die notwendige Politik ausbremst, welche Lobbynetzwerke es beispielsweise für Verbrennerautos oder die Kohleindustrie gibt.

Wenn alle darüber informiert sind, wer einer Veränderung im Weg steht, kann das die Politik verändern.

Wie politisch müssen Sie als Umweltjournalistin sein?

Man kann sich – zumal als Klimajournalist:in – gar nicht genug für Politik interessieren, finde ich. Denn die Klimakrise ist eine globale Krise, die auch nicht allein auf Seite der Nichtregierungsorganisationen, der NGOs, gelöst wird, sondern für die politische Entscheidungen notwendig sind.

Es ist ein urpolitisches Thema, wie wir die Gesamtwirtschaft so verändern, dass wir mit Dürren und Überschwemmungen zurechtkommen.

Wo verläuft die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus?

Das ist eine ganz leidige Debatte, die den Klimajournalismus da ereilt: dass er dem Aktivismus nahestehe, dass die Journalist:innen nicht Journalist:innen im eigentlichen Sinne, sondern Aktivist:innen seien.

Ich empfinde das als absolut lächerlichen Vorwurf, der von Beharrungskräften an den Haaren herbeigezogen ist. Wenn wir aufzeigen, welche verheerenden Auswirkungen die Klimakrise hat, wird das mit dem Stempel des Aktivismus versehen. Damit kann ich wenig anfangen. Wir berichten als Journalist:innen über physikalische Gesetze, die darüber bestimmen, wie die Erde in einigen Jahrzehnten aussehen wird, was dem Klimaschutz zuwiderläuft, welche verheerenden Auswirkungen die Klimakrise hat – und welche Maßnahmen dagegen helfen.

Der Klimajournalismus ist ja – leider – ein „Dauerbrenner“. Das Thema wird uns bestimmt auch noch länger begleiten. Ihre Prognose für Ihr Ressort?

Ich gehe davon aus, das es das wichtigste Thema der Zukunft ist. Insofern ist der Beruf des Klimajournalisten, der Klimajournalistin absolut zukunftsträchtig. Ich sehe auch in vielen Redaktionen, dass Klimateams gebildet werden; da bauen alle Expertise auf. Es gibt inzwischen zwar viele Klimajournalist:innen, aber immer noch nicht genug.

Was würden Sie jungen Journalist:innen raten, die sich für das Ressort interessieren?

Es ist nicht schlecht, ein bestimmtes Steckenpferd zu haben, ein Thema, für das man brennt. Auf das man sich spezialisiert, wo man sich reinfuchst und richtig gut auskennt und alles parat hat.

Der Klimawandel ist ein riesiges Themenfeld. Da geht es um Bundespolitik, um Industriepolitik, um Finanzpolitik und um die Europapolitik, über die in diesem Zusammenhang viel zu wenig berichtet wird. Die wird sträflich vernachlässigt – selbst von den bisherigen EU-Korrespondent:innen. Die wenigsten der Brüsseler Kolleg:innen sind gleichzeitig auch Klimaexpert:innen. Da ist absolut noch eine Nische und eine Lücke.

Warum ist das so?

Wenn man nicht tief im Thema ist, ist es wie eine Blackbox. Die EU-Materie ist sperrig, furchtbar anstrengend, die ganzen Verfahren und Pressemitteilungen sind schwer verständlich. Und doch werden da unglaublich wichtige Budgets und Regeln geschaffen. Allein die Agrarsubventionen, der größte Posten im EU-Haushalt, entscheiden ganz stark darüber, wie viel Emissionen eingespart werden können und wie gut die EU mit der Klimakrise künftig zurechtkommen wird.

Wenn man einmal im EU-Thema drin ist, führt das sehr weit. Das ist aus Journalistensicht noch unbeackertes Feld – da ist noch viel bei der Recherche herauszuholen.

Mein Tipp: Wer sich für den Klimajournalismus interessiert, sollte sich in die Europapolitik im Zusammenhang mit der Klimakrise einarbeiten. Da wird dringend Nachwuchs gebraucht!

Das Gespräch führte Ulrike Bremm.

Titelillustration: Esther Schaarhüls.

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Annika Joeres, geboren 1978 in Herten, lebt in Frankreich. Sie arbeitet als Klima- und Energiejournalistin für die Investigativ-Redaktion CORRECTIV und berichtet für Die Zeit aus diesem Land. Für ihre investigativen Recherchen wurde sie mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, zuletzt 2022 für das Buch „Klima außer Kontrolle: Fluten, Stürme, Hitze – Wie sich Deutschland schützen muss“ (Piper) mit dem NDR Sachbuchpreis. Am 01.08.2023 erschien ihr neues, wiederum mit Susanne Götze als Co-Autorin verfasstes Buch zur Wasserkrise: „Durstiges Land“ (dtv). Twitter: @AnnikaJoeres.

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