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Media Entrepreneurship: Wenn Journalisten Unternehmer werden

Journalisten können heute mehr denn je ihr eigenes Ding machen. Aber als Freelancer oder Gründer eines eigenen Medienunternehmens braucht es mehr als gute Journalismuskenntnisse. Ein Beitrag über die Bedeutung von Unternehmergeist und Beispiele aus der Praxis.

Der Zustand der Medien im Jahr 2015 ist gespalten. Einerseits ging es ihnen finanziell schon mal besser. Die Auflagen sinken – insbesondere von Tageszeitungen – und die Einnahmen gleich mit, weil die Erlöse im Onlinebereich die Verluste im Printbereich nicht auffangen können. Die Konsequenz: Redaktionen schrumpfen und beziehen immer mehr Inhalte von Agenturen und freien Journalisten. Die sind schließlich billiger, da sich die Externen und die Freiberuflichen um die Steuern und die Sozialversicherungsbeiträge selbst kümmern müssen. Außerdem ist der Markt groß: Viele wollen „irgendwas mit Medien“ machen – und so gehen die Honorare in den Keller. Selbstausbeutung ist vielen Freelancern daher nicht fremd. Verlage sind nicht mehr die Geldmaschinen, die sie mal waren. Und Journalisten haben nicht mehr den sicheren Job, den sie mal hatten. Das ist die eine Seite der Medienbranche.

Die andere Seite ist, dass die digitalen Möglichkeiten, die bis dato noch zu wenig Geld in die Kassen spülen, den Journalismus zu einem derart spannenden Berufsfeld machen, wie er es wahrscheinlich noch nie gewesen ist. Geschichten können auf viele verschiedene Arten erzählt werden: als Text, Audio, Video und sogar multimedial. Statt um – langweilige – Informationen geht es um das Einordnen, Erklären, Kommentieren. Die Recherchemöglichkeiten sind vielfältiger denn je. Ebenso die Interaktionsformen mit den Konsumenten, die teils zu Produzenten werden. Das Smartphone wird zu einem elementaren Werkzeug – sowohl aus Konsumenten- als auch aus Produzentensicht. Journalismus in digitalen Zeiten hat sich damit zu einer nie langweilig werdenden Branche entwickelt, die allerdings aus unternehmerischer Sicht zu einer Herausforderung geworden ist.

Gründen kann jeder

Neu ist auch, dass das Unternehmerische nicht mehr fast ausschließlich großen, traditionsreichen Verlagen überlassen wird. Wer journalistisch tätig sein möchte, dem stehen heute mehr Optionen zur Verfügung, als fest bei einem Verlag zu arbeiten oder als Freier zwei oder drei Verlage zu bedienen. Die Rede ist vom Gründen. Die Umstände im Zuge der Digitalisierung sorgen dafür, dass Gründungen einfacher zu bewerkstelligen sind, als es vor zehn oder 20 Jahren noch der Fall war. In der Medienbranche sein eigenes Ding zu machen war noch nie unkomplizierter als heute. Denn es braucht nicht zwingend eine ganze Hundertschaft Personal oder ein eigenes Druckhaus und damit auch keine horrenden Summen an (Start-) Kapital.

Was allerdings unbedingt benötigt wird, sind zwei Dinge: eine innovative Idee oder ein innovativer Ansatz und ein neues betriebswirtschaftliches Verständnis, also Unternehmergeist. Besser noch fasst es der englische Begriff Entrepreneurship (wörtlich übersetzt: Unternehmertum) zusammen, der deshalb auch im Deutschen Anwendung findet. Wichtig zu erwähnen: Entrepreneurship ist nicht nur für Gründer, sondern ebenfalls für Freiberufler von Bedeutung. Denn auch sie sind Unternehmer – Einzelunternehmer –, die sich und ihre Leistungen verkaufen möchten.

Festzuhalten ist also, dass der Journalismus in einer finanziell problematischen Lage steckt und Entrepreneurship deshalb auch für einzelne Journalisten eine immer größere Rolle spielen wird.

Unternehmergeist – ein Muss?

Aber was zeichnet Media Entrepreneurship aus? Was hat man unter Unternehmergeist zu verstehen? Pauschal lässt sich das natürlich nicht beantworten. Das eine Geheimrezept, den einen Weg zum Erfolg, das alles gibt es nicht.

Bevor wir uns aber mit den Eigenschaften eines Entrepreneurs auseinandersetzen, sollte die Frage geklärt werden, ob sich tatsächlich jeder Journalist als Unternehmer verstehen muss. Die Antwort: selbstverständlich nicht. Es wird immer Journalisten geben, die sich dauerhaft in einer Festanstellung befinden und deren Auskommen dadurch gesichert ist. Der zweite Teil der Antwort muss allerdings lauten, dass es solche Journalisten immer weniger geben wird, ob gewollt oder nicht. Der Arbeitsmarkt in der Medienbranche verändert sich und macht einen solchen Werdegang – einmal Festanstellung, immer Festanstellung – zu einer Ausnahmeerscheinung. Zu einem Unternehmerjournalisten sollten demnach alle werden, die sich fit machen möchten für die berufliche Zukunft. Unternehmergeist sollten all jene entwickeln, die selbstbestimmt arbeiten möchten, ob freiberuflich oder als Gründer. Entrepreneurship ist für jeden ein wichtiges Thema, der nicht naiv an eine lebenslange Festanstellung glaubt.

Möchte man Entrepreneurship oder Unternehmergeist nun definieren, so ist das immer eine subjektive, eine für jeden individuell geltende Definition. Auf die Medienbranche bezogen besteht die Definition aus einer Schlagwörterwolke mit Begriffen wie Selbstvermarktung, Kreativität, disruptive Technologie, Innovation, Selbstbestimmung, Geschäftsmodell, Risiko, Schlüsselkompetenzen, Leidenschaft, Chancen, Selbstverwirklichung und einigen mehr. Anhand der Schlagwörter wird klar: Entrepreneurship ist mehr als Unternehmertum, die wörtliche Übersetzung. Entrepreneure sind Menschen, die in ihrem Business aufgehen, sich selbstverwirklichen möchten und bei all dem Idealismus aber nicht den Blick auf das Geschäft verlieren. Wie das hierzulande in der Praxis aussehen kann, zeigen folgende Beispiele.

Lokale Onlinemagazine

Wenn über Medien-Start-ups gesprochen wird, dann fallen lokale Angebote meist hinten runter. Dabei müssen es nicht immer bundesweite oder gar internationale Start-ups sein, die besonders toll und nennenswert sind. Denn gerade das Lokale ist prädestiniert dafür, ein gutes journalistisches Angebot in die Welt zu setzen.

Bekannte Beispiele für Lokalblogs oder hyperlokale Magazine sind etwa die „Tegernseer Stimme“ (TS) in Bayern oder die „Prenzlauer Berg Nachrichten“ (PBN) in Berlin. Sie haben es geschafft, durch einen herausragenden Lokaljournalismus und einen knallharten Vertrieb finanziell über die Runden zu kommen. Bei beiden Angeboten sind die Inhalte kostenfrei zugänglich. Sie finanzieren sich durch spezielle Werbeformate, eine Jobbörse (TS) und einen Freundeskreis mit freiwilligen Leserbeiträgen (PBN).

Auf einem anderen Geschäftsmodell basiert das Lokalmagazin „Taeglich.ME“ für den Kreis Mettmann. Auf dessen Website sind die Inhalte der erfahrenen Lokaljournalisten nur für Mitglieder verfügbar. Wer lokale Nachrichten, Porträts oder Reportagen lesen möchte, der muss eine Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahresmitgliedschaft abschließen. Werbebanner ergänzen die Einnahmen durch die Leser.

Alle drei Beispiele zeigen: Lokaljournalismus kann sich sehr wohl finanzieren, wenn die Inhalte überzeugen, ein Geschäftsmodell existiert und dieses in die Praxis integriert wird. Zahlreiche Beispiele – ohne an dieser Stelle öffentlich welche aufführen zu möchten – zeigen nämlich, dass es oft am fehlenden Konzept und Vertrieb scheitert, obwohl die Leistung stimmt.

Nischenplattform

Wer eine Nische findet, die trotzdem eine ausreichend große Zielgruppe verspricht, und das Geschäftsmodell passgenau für diese Zielgruppe entwickelt, hat gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft. „EDITION F“ ist genau das gelungen. Die Business-Lifestyle-Plattform für Frauen ist noch kein Jahr alt und schon durchaus erfolgreich, wie etwa anhand der „Fans“ in sozialen Netzwerken und des erfolgreich verlaufenen Crowdinvesting zu erkennen ist. Bei ihr kommt alles zusammen: Die beiden Gründerinnen Susann Hoffmann und Nora-Vanessa Wohlert haben nicht einfach mal so angefangen und geschaut, wie sie Einnahmen generieren. Sie sind an ihre Plattform eben wie richtige Unternehmerinnen herangegangen und haben ein gut durchdachtes Geschäftsmodell umgesetzt. „EDITION F“ ist nämlich nicht nur ein Magazin mit einem klaren Fokus auf Themen, die Lifestyle-bewusste Karrierefrauen interessieren, sondern beinhaltet auch eine Jobbörse und einen Marktplatz. Damit und mit Native Advertising verdienen die Gründerinnen ihr Geld. Ein Konzept, das in seiner Einzigartigkeit zu funktionieren scheint. Dazu beitragen wird zusätzlich, dass „EDITION F“ viel in die Community investiert: Das Team ist in den sozialen Netzwerken sehr präsent und hat in das Portal eine eigene Community-Funktion integriert. Dass die Community, eine Stammleserschaft, viel wert ist, haben auch andere journalistische Start-ups wie „Krautreporter“ oder „Correctiv“ erkannt. Von einem regen Austausch und dem daraus resultierenden Zugehörigkeitsgefühl profitieren schließlich beide Seiten.

Tech-Start-ups im Medienbereich

Auch medienunterstützende Start-ups lassen sich zu den Medien-Start-ups zählen, wenn man diese etwas freier definiert. Da wäre zum Beispiel „tame“, ein deutsches und international expandierendes Start-up, das – zum Beispiel Journalisten – dabei hilft, Twitter auf vielfältige Weise zu durchleuchten und zu analysieren. Für einen bestimmten Betrag im Monat kann man dieses Tool in diesem Zeitraum nutzen. Das Interessante daran: „tame“ haben (auch) Journalisten gegründet, die bei ihrer eigenen Arbeit fehlende Analysemöglichkeiten bei der Nutzung von Twitter festgestellt und darauf reagiert haben. Nun sind sie Entrepreneure. Ähnliches gilt für Wieland Lindenthal, der zwar selbst kein Journalist ist, sich aber mit einem Tool für Journalisten selbstständig gemacht hat: „Newstral“ ist eine personalisierte, individuell konfigurierbare Nachrichtenseite. Das funktioniert, weil Lindenthal die Startseiten sehr vieler Nachrichtenportale und (Lokal-) Blogs ausliest und analysiert. News können sogar auf einer Karte verortet werden. Neu online gegangen ist eine Suchmaschine für alle ausgelesenen Nachrichten. Wie sich „Newstral“ finanziert? Durch Google-Werbung. Bisher. Denn ein exklusiver Sponsor sowie noch zu entwickelnde kostenpflichtige Zusatzleistungen sollen folgen. Das klingt nach einem Geschäftsmodell.

Media Entrepreneurship – die Zukunft

All die Beispiele zeigen: Der Journalismus der Zukunft – der außerhalb der etablierten Verlage – darf nicht nur aus schönen und tollen Formaten bestehen, sondern muss auch ein tragfähiges Modell im Gepäck haben. Das gilt sowohl für Medien-Start-ups als auch für Freiberufler, die sich ebenfalls vermarkten, weiterentwickeln und ein Geschäftsmodell besitzen müssen. Wichtig ist deshalb, dass Entrepreneurship für viele Journalisten kein Fremdwort bleibt, sondern verinnerlicht wird.

Die Aus- und Weiterbildungseinrichtungen erkennen das erfreulicherweise nach und nach und entwickeln eigene Programme oder ergänzen Studiengänge um entsprechende Inhalte. Und auch die Deutsche Presse-Agentur setzt mit ihrem angekündigten „Next Media Accelerator“ zur Förderung von Medien-Start-ups ein wichtiges – längst überfälliges – Signal. Damit folgt man endlich dem amerikanischem Beispiel (wenn auch nicht alles blind auf den deutschen Markt übertragbar ist). Schließlich hat der amerikanische Journalistikprofessor und Autor Jeff Jarvis schon im Jahr 2009 bei den Münchner Medientagen gesagt: „Die Entrepreneure werden die Zukunft der Medien bilden.“ Es sieht bisher alles danach aus, als würde Jarvis richtig liegen. Schlecht wäre das keineswegs.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Julian HeckJulian Heck ist freier Medien- und Tech-Journalist, Dozent und Lehrbeauftragter an der Hochschule Darmstadt. Zu seinen Auftraggebern gehören unter anderem etailment, LEAD digital, das Medium Magazin, Mobilbranche, stern.de, Mobile Geeks und die Friedrich-Ebert-Stiftung. Seit Kurzem betreibt er die Website „Media Entrepreneurship„, die Media Entrepreneuren eine Plattform bietet, um sich und ihre Arbeit zu präsentieren. Vom Medium Magazin wurde der Südhesse 2013 unter die „Top 30 bis 30“ Nachwuchsjournalisten gewählt.
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Kommentare
  1. Jona sagt:

    Guter, da wertvoller Artikel für unsere Zeit. Danke dafür.

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