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Phänomen E-Sport: ein neues Themengebiet für Journalisten

Gebannt gucken 12.000 Zuschauer auf die großen Leinwände der Kölner Lanxess-Arena. Jubelnd feuern sie zwei gegeneinander antretende Teams an, während drei Kommentatoren euphorisch das Geschehen beschreiben. An den Bildschirmen zu Hause verfolgen zeitweise 1,3 Millionen Fans zusätzlich den Kampf per Livestream. Normalerweise werden in der Arena unter anderem Eishockey-Spiele ausgetragen, doch heute findet hier ein Counter-Strike: Global Offensive-Turnier statt. Das Computerspiel gehört zu einer aufstrebenden Sportart: dem elektronischen Sport, kurz E-Sport. Mit dem Boom wächst auch der Bedarf an einer professionellen Berichterstattung.

Auch wenn E-Sport-Ereignisse von Millionen von Zuschauern und Fans verfolgt werden, schien die sogenannte Community in Europa lange weitestgehend unter sich zu bleiben. Die klassischen Medien berichteten nur selten über die neue Sportart. Dabei wurde schon 1997 die Deutsche Clanliga gegründet, aus der im Jahr 2000 die Electronic Sports League (ESL) hervorging. Die älteste und größte Plattform für organisierte Computerspielwettkämpfe umfasst mittlerweile über fünf Millionen registrierte Nutzer und war dem schwedischen Medienkonzern Modern Times Group in diesem Sommer immerhin 78 Millionen Euro wert. Spätestens mit dem Einstieg weltbekannter Konzerne in die Szene – Amazon kaufte im Sommer 2014 die E-Sport-Streamingplattform Twitch für eine Milliarde US-Dollar – bekommt E-Sport nun auch außerhalb der Gaming-Welt mehr Aufmerksamkeit.

Damit eröffnet sich ein neues Themengebiet für Journalisten, denn für die Berichterstattung über Turniere, erfolgreiche Spieler oder sogar Doping-Skandale finden sich immer mehr Auftraggeber bei den klassischen Medien, aber auch in der Szene selbst.

Von PC Bangs zu Millionen von Zuschauern

Doch wie konnte sich E-Sport so rasant entwickeln? Zu den Vorgängern heutiger E-Sport-Events gehören die sogenannten LAN-Partys, also Events, bei denen mehrere Teilnehmer manchmal tagelang gemeinsam ein Computerspiel spielen. Die ersten, zunächst vorwiegend privaten LAN-Partys wurden Mitte der Neunzigerjahre mit Aufkommen der mehrspielerfähigen Computerspiele veranstaltet. Das schon damals gern gespielte und inzwischen zu den Klassikern gehörende Computerspiel Counter-Strike wird heute in der Version „Counter-Strike: Global Offensive“ bei Turnieren vor mehreren Tausend Zuschauern ausgetragen.

Im Gegensatz zu Europa boomt die E-Sport-Szene in Südkorea schon seit Ende der Neunzigerjahre. Während hier zu diesem Zeitpunkt LAN-Partys ihren Höhepunkt hatten, schossen in Südkorea Internetcafés, PC Bangs genannt, aus dem Boden. Als Reaktion auf die Asienkrise subventionierte der südkoreanische Staat damals den Ausbau der Telekommunikations- und Internetanschlüsse; die PC Bangs boten den Gamern einen Ort zum Spielen und sich Austauschen. Dank der neuen Infrastruktur entwickelte sich eine große Gamer-Community, sodass kurz darauf sogar eine koreanische E-Sports-Vereinigung gegründet wurde. Es ist daher keine Besonderheit, wenn dort heute 40.000 Zuschauer in ein Stadion gehen, um das Finale der League of Legends World Championship live zu verfolgen, und darüber neben Online-Streamingdiensten auch in speziellen Fernsehprogrammen berichtet wird.

In Deutschland erzeugt der Gedanke, anderen Menschen beim Computerspielen zuzusehen, außerhalb der Community noch Stirnrunzeln. Man kann die Computerspiel-Turniere jedoch sehr gut mit Schach vergleichen: Schach gilt als Sport, obwohl sich zwei Spieler hier oft stundenlang nahezu bewegungslos, dafür aber hochkonzentriert gegenübersitzen. Ähnlich ist es bei E-Sportlern, die über einen längeren Zeitraum bei höchster Konzentration Computermaus und -tastatur bedienen müssen.

Die Computer- und Konsolenspiele-Industrie hat schnell erkannt, dass sich mit E-Sport ein lukrativer Wirtschaftszweig aufbauen lässt. Das niederländische Marktforschungsinstitut Newzoo hat errechnet, dass E-Sport im Jahr 2015 weltweit einen Gewinn von 252 Millionen US-Dollar erwirtschaften wird. Die Fanbase soll außerdem um 27 Prozent (im Vergleich zum Vorjahr) auf 113 Millionen Menschen anwachsen. In Deutschland haben laut dem Bundesverband für Interaktive Unterhaltungssoftware bereits sieben Millionen Menschen E-Sport-Turniere online gestreamt.

Das schon erwähnte League of Legends, ein weiterer Klassiker dieses Sports, verzeichnet heute weltweit 27 Millionen Spieler täglich. Es wurde 2009 von Riot Games auf den Markt gebracht; nur zwei Jahre später wurden bereits die ersten League of Legends World Championship ausgetragen. 2014 lag das Preisgeld für den Sieger bei einer Million US-Dollar. Das Budget hierfür generiert sich vor allem aus zahlungsfreudigen Sponsoren und Ticketverkäufen. Mit solchen Zahlen erreicht der Gaming-Sport langsam auch außerhalb der Fangemeinschaft Aufmerksamkeit.

Seltenheit E-Sport-Journalist

Lange fand die Berichterstattung über E-Sport ausschließlich innerhalb der Szene statt. So wird auf der Website von League of Legends über Turniere oder Clans (so werden die Teams genannt) von verschiedenen Autoren berichtet. Außerdem haben sich mit der Zeit auf E-Sport spezialisierte PR-Agenturen und Gaming-Organisationen gegründet, die ebenfalls entsprechende Inhalte veröffentlichen.

Die Multi-Gaming-Organisation SK Gaming aus Köln managt beispielsweise den sehr erfolgreichen gleichnamigen Clan und betreibt zudem eine Community-Plattform, auf der Artikel über E-Sport-Ereignisse veröffentlicht werden. Auf Anfrage erklärt Alexander Müller, Managing Director bei SK Gaming, dass man sich als Autor bei ihnen bewerben kann. Bisher besteht die Redaktion hauptsächlich aus E-Sport-Interessierten, die ein hohes Fachwissen in diesem Bereich haben, jedoch keine ausgebildeten Journalisten sind. Auch bei Freaks 4U Gaming, einer auf E-Sport spezialisierten Marketing- und PR-Agentur aus Berlin, werden Autoren und Kommentatoren fest angestellt. Die sogenannten Talente sind jedoch ebenfalls keine Sportjournalisten, sondern spielen alle selbst eines der Computerspiele und haben sich dadurch ein umfangreiches Expertenwissen angeeignet. Als Kommentatoren oder Moderatoren werden sie für Turniere, aber auch Events und Messen gebucht, zum Beispiel für die Gamescom oder die Cebit. Außerdem wird in den acht Videostudios von Freaks 4U Gaming via Twitch unter anderem über Turniere berichtet. Jasmin Kobin, PR-Managerin von Freaks 4U Gaming, stellt dazu fest: „Eine weitere Professionalisierung der Berichterstattung wäre für die Zukunft wünschenswert, damit E-Sport in der Gesellschaft besser etabliert und als kompetitive Sportart wahrgenommen wird.“

Zwar finden sich bisher nur wenige Journalisten in der eher Community-basierten Berichterstattung, doch die etablierten Medien ziehen langsam nach. Während bei „FAZ.net“ die Berichterstattung im Sportressort stattfindet, wird E-Sport bei „ZEIT Online“ und „Sueddeutsche.de“ dem Ressort Digitales zugeordnet. Bei letzteren beiden ist dies vor allem darauf zurückzuführen, dass die zuständigen Redakteure nicht ausschließlich über die Welt des Gamings berichten. „Ein persönliches Interesse an E-Sport ist von großer Bedeutung“, erklärt Matthias Huber, Mitarbeiter in Vollzeit bei Sueddeutsche.de im digitalen Ressort. „Wie bei jedem anderen Fachgebiet auch, muss der Journalist natürlich Expertenwissen vorweisen können.“

Bei den Sportmedien findet E-Sport noch nicht allzu viel Beachtung, obwohl dessen Protagonisten sehr darauf bedacht sind, E-Sport als Sportart zu etablieren und als Sportler anerkannt zu werden. Eine Ausnahme ist das Sportmagazin „Kicker“, das im Jahr 2014 mit esports.kicker.de einen Onlineableger für E-Sport gegründet hat. Hier hat man früh erkannt, dass sich die Szene in Deutschland weiterentwickeln und an Popularität gewinnen wird. „Mit esports.kicker.de wollen wir dieser Entwicklung Rechnung tragen. Das Feedback aus der Szene ist bislang äußerst positiv, somit denke ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, berichtet Christoph Laskowski, verantwortlicher Redakteur bei esport.kicker.de. „Wir erreichen inzwischen regelmäßig siebenstellige Page Impressions pro Monat und die Zahlen steigen kontinuierlich.“ Die Inhalte werden von der Hamburger Agentur egames Media geliefert, die ausgebildete Redakteure beschäftigt. Auch bei anderen klassischen sportjournalistischen Medien, wie zum Beispiel dem Fernsehsender „Sport1“, wird E-Sport als neues Ressort langsam wahrgenommen. „E-Sport ist ein starker Wachstumsmarkt. Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit diesem globalen Massenphänomen und haben bereits einige Ansätze in der Schublade. Aufgrund unserer Positionierung als Multimedia-Sportplattform wären wir zum Beispiel in der Lage, E-Sport-Events auf unseren Kanälen auszustrahlen“, erklärt Robin Seckler, Geschäftsführer Digital Products bei „Sport1“.

Berufseinstieg über Videoplattformen

Der E-Sport-Journalismus wird also bisher von Experten aus der Szene dominiert, was besonders auf die Bedeutung der Community im Gaming zurückgeführt werden kann.

Der direkte Austausch über Chats – bei Twitch können die Zuschauer während einer Live-Übertragung über einen Chat mit dem Kommentator in Kontakt treten – oder die Kommentarfunktion – beispielsweise auf Youtube – sind bestimmende Faktoren in der E-Sport-Szene. Hier können die Rezipienten in Echtzeit das Expertenwissen der Kommentatoren testen. Daher darf es den Journalisten nicht an Fachwissen mangeln, denn ansonsten wird man von der Szene nicht ernst genommen. Dies kann natürlich auch in anderen journalistischen Bereichen der Fall sein, jedoch wird bei der E-Sport- Berichterstattung vor allem mit den Videostreams Gewinn generiert. Wenn ein Kommentator hier also seine Zuschauer verliert, kann das schnell das Ende für seinen Twitch- oder Youtube-Kanal bedeuten.

Ein erfolgreicher Youtube-Kanal kann aber auch zum Quereinstieg in den E-Sport-Journalismus verhelfen. Der 28-jährige Maxim Markow (Anm. d. Red.: im Fachjournalist und auf dem Youtube-Kanal des DFJV gibt es ein ausführliches Interview mit ihm) ist professioneller E-Sport-Kommentator und verdient damit den Lebensunterhalt für sich und seine Familie. Begonnen hat alles mit humorvollen Erklärvideos für das Spiel League of Legends auf Youtube. Inzwischen ist er bei Freaks 4U Gaming fest angestellter Kommentator und Moderator; sein Youtube-Account hat über 200.000 Abonnenten.

Ausblick

Der Werdegang von Maxim Markow ist aus journalistischer Sicht zwar ungewöhnlich, zeigt aber, dass Bedarf an guten Kommentatoren in der Szene vorhanden ist. Die Branche wächst enorm – sowohl an Gewinn als auch an Interesse. Ein professionalisierter E-Sport-Journalismus muss sich zwar noch etablieren, aber die Bestrebungen von „Kicker“ und „Sport1“ zeigen, dass E-Sport eine zu große Fangemeinschaft hat, um diese einfach zu ignorieren und damit potenzielle Leser beziehungsweise Zuschauer zu verlieren.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Katharina PenczDie Autorin Katharina Pencz arbeitet als freie Kulturjournalistin in Berlin. Für Funkhaus Europa, Radio Bremen und DRadio Wissen ist sie als Hörfunkautorin unterwegs und berichtet über Themen aus den Bereichen Gesellschaft, Kultur und Stadtgeschehen. Außerdem bespricht sie regelmäßig Kunstausstellungen in der Berliner Zeitung und engagiert sich als ehrenamtliche Redakteurin bei dem hyperlokalen Blog Neukoellner.net.

Kommentare
  1. Yorick Pusch sagt:

    Sehr cooler Artikel!
    Genau den Sachverhalt habe ich (und bin auch noch dabei) im Rahmen meines Studiums auch mal unter die Lupe genommen und bin zu einer sehr ähnlichen Schlussfolgerung gekommen!

    Interessant ist vielleicht auch, dass Sport1 und kicker.de laut Statista zusammen mit Yahoo die populärsten Sportportale in Deutschland sind. Und gerade diese beiden passen sich an die Entwicklung an und nehmen das Thema (rechtzeitig) ernst, bevor man alle Leser an die Szene-Medien verliert.
    Auch Yahoo ist bei dem Thema engagiert und stand in Gesprächen die größte amerikanische Gaming-Liga zu übernehmen!

    http://www.gamespot.com/articles/yahoo-in-advanced-talks-to-buy-mlg-report/1100-6431483/
    http://de.statista.com/statistik/daten/studie/205064/umfrage/meistbesuchte-sport-websites-in-deutschland/)

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