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Positiver Journalismus: „Eine Ausgewogenheit in der Berichterstattung herstellen“

Interview mit dem Kommunikationswissenschaftler Oliver Bidlo

Berichten die Medien zu negativ? Seit geraumer Zeit wird diese Frage im Journalismus kontrovers diskutiert. Umfragen zeigen auf jeden Fall, dass viele Bürger die Nachrichtenberichterstattung als zu negativ empfinden. Genau hier setzt der sogenannte „positive Journalismus“ an: Er sieht sich als eine Art Gegenbewegung zum vorherrschenden Negativitätsbias in der Berichterstattung. Über die Chancen dieses neuen Ansatzes für den Journalismus insgesamt sprachen wir mit dem Kommunikationswissenschaftler Dr. Oliver Bidlo. Er ist Mitautor des kürzlich erschienenen Fachbuchs „Positiver Journalismus“ (UVK-Verlag).

Herr Bidlo, die Diskussion um einen „positiven Journalismus“ ist noch relativ neu. Wie würden Sie den Begriff definieren?

Eine Begriffsbestimmung würde ich über eine abgrenzende Definition vornehmen: Positiver Journalismus ist nicht die positive Darstellung eines negativ bewerteten Sachverhalts – das wäre schließlich der Versuch einer Manipulation. Positiver Journalismus steht vielmehr dafür, dass in der Gesamtheit der journalistischen Berichterstattung positive Nachrichten einen größeren Raum erhalten sollten.

Die Fokussierung auf negative Entwicklungen in der Welt führt zu einer negativen Selbstverstärkung in der Darstellung. Es ist aber wichtig, zu differenzieren: Nicht alle Entwicklungen sind negativ – siehe etwa die Klimakonferenz in Paris und ihre Ergebnisse. Und ganz deutlich: Beim positiven Journalismus geht es nicht um Propaganda oder Public Relations.

Sie sprechen in Ihrem Beitrag im Buch „Positiver Journalismus“ von der Dialektik des Negativen, die den Journalismus kennzeichnet. Was meinen Sie damit?

Die Dialektik des Negativen meint zwei Stränge, die heutzutage zu beobachten sind.

Zum einen dreht sich das journalistische Selbstverständnis in erster Linie um Störungen einer Ordnung. Der Journalismus versteht sich sozusagen als ein Seismograf für Fehlentwicklungen. Kriege und Katastrophen beispielsweise finden weit größere Aufmerksamkeit als Befriedungs- oder Wiederaufbauprozesse. Eine Meldung, die besagt, „alles ist in Ordnung“, ist in der Regel keine Nachricht.

Der zweite Strang hat mit der Fortschrittsgesellschaft zu tun, in der wir leben. Stillstand ist hier gleichbedeutend mit Rückschritt. Diese Grundhaltung kennzeichnet das Fortschrittsdenken. Da man alles immer irgendwie verbessern kann, ist Kritik aus dieser Perspektive besser als die Vorstellung, dass auch mal etwas gut laufen könnte. Ein Ja-Sager ist bei uns negativ konnotiert, während jemand, der nein sagt, höher geschätzt wird.

Diese beiden Stränge – das journalistische Selbstverständnis und die gesellschaftliche Atmosphäre – sorgen tendenziell für eine eher negative Berichterstattung.

Kann ein positiver Journalismus diese Hürden überwinden?

Das ist möglich. Allerdings müssen hierzu auch die Rezipienten umdenken: Bei positiver Berichterstattung wird oft sofort ein Manipulationsverdacht unterstellt – nach dem Motto: „Cui bono? – Wem nützt es?“ Das ist eine wichtige Frage, aber sie ist mittlerweile schon zum Reflex geworden. Das lässt auf Rezipienten-Seite kaum noch zu, dass etwas positiv sein kann, denn hier wird sofort Verschweigen oder Unterschlagen von Informationen unterstellt.

Auf journalistischer Seite herrscht das Grundverständnis vor, kritisch zu berichten. Wenn Journalisten hier eine Sowohl-als-auch-Haltung einnehmen und verstehen, dass sich guter Journalismus und die Berichterstattung über positive Prozesse nicht ausschließen müssen, dann kann sich positiver Journalismus – auf lange Sicht gesehen – als eine zusätzliche Ebene im Journalismus etablieren. Dazu bedarf es freilich der Reflexion und der Einsicht des Journalisten, dass eine Grundhaltung existiert, eher das Schlechte zu sehen.

Können Sie Beispiele nennen für Themen, über die Ihrer Meinung nach zu negativ berichtet wird?

Ein gutes Beispiel ist die Jugendkriminalität: Die geht seit Jahren zurück. Dennoch hat man in der öffentlichen Berichterstattung mitunter das Gefühl, dass sie in den letzten Jahren eher zugenommen habe. Natürlich muss man über Jugendkriminalität berichten. Aber man könnte auch aufzeigen, dass es Projekte zur Bekämpfung von Jugendkriminalität gibt, die Erfolg haben.

Ein anderes Beispiel ist das Thema „Geisterfahrer“: Laut Statistik kommen pro Jahr etwa 20 Menschen durch Geisterfahrer ums Leben. Natürlich ist das tragisch und eine Senkung der Zahl auf null ein ideales Ziel; ein Toter pro Jahr durch Geisterfahrer ist schlimm genug. Aber dass es „nur“ 20 Personen pro Jahr sind – bei über 40 Millionen Autos in Deutschland –, wäre natürlich auch eine Darstellung wert. Vor diesem Hintergrund die Diskussion zu führen, ob man deutschlandweit ein Warnsystem für Geisterfahrer braucht, ist zumindest fraglich.

Aber an diesen Beispielen wird auch sichtbar, dass man schnell in einer moralisch relativierenden Ecke landet.

Momentan beherrscht die Flüchtlingskrise die politische Agenda: Wird den Medien hier nicht unterstellt, tendenziell zu positiv zu berichten?

Das ist sicherlich richtig. Aber das betrifft nicht den positiven Journalismus, über den wir hier reden. Die Vorwürfe, die Medien im Kontext des Flüchtlingsthemas gemacht werden, gehen in Richtung Manipulation. Man unterstellt den Medien, dass sie die Realität nicht widerspiegeln – siehe die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht.

Das Konzept des positiven Journalismus hat eine andere Konnotation: Es geht ihm nicht darum, zu manipulieren, sondern eine Ausgewogenheit in der Berichterstattung herzustellen.

Welche Beispiele für positiven Journalismus gibt es in den deutschen Medien?

Spontan fallen mir ein: die „taz“ mit ihren Sonderausgaben mit „Good News“ und die „Huffington Post“ mit ihrer Rubrik „Good„, in der bewusst lösungsorientiert berichtet wird.

Allgemein gilt: Es ist keineswegs leicht, positive Themen an den Leser zu bringen. Die Reaktion der Leser auf positive Nachrichten ist – wie bereits erwähnt – nicht immer positiv. Manchmal kehren Redaktionen deshalb wieder von diesem Ansatz ab.

Abschließend: Glauben Sie, dass sich positiver Journalismus – langfristig gesehen – etablieren kann?

Ja. Die Medien müssen allerdings einen langen Atem haben. Bei vielen Rezipienten herrscht mittlerweile die Einstellung vor: Ich kann das alles nicht mehr lesen – die ganzen Katastrophen, Krisen etc. Die negative Berichterstattung führt zu einer Bewegung von Nachrichtenverweigerern.

Das wiederum ist eine Chance für den positiven Journalismus: Auf diesem Boden kann ein ausgewogener positiver Journalismus seine Wurzeln finden und die Leute wieder dazu bringen, die Nachrichten zu verfolgen.

Herr Bidlo, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

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Foto: Jessica Breitbach

Dr. Oliver Bidlo ist Kommunikationswissenschaftler, Soziologe, Germanist und Verleger (www.oldib-verlag.de). Er hat Lehraufträge im Bereich Medien, Soziologie und Kriminologie an den Universitäten Duisburg-Essen und Bochum und der Hochschule Fulda. Bidlo ist Autor mehrerer Sachbücher. Im Buch „Positiver Journalismus“ (UVK-Verlag) hat er den Beitrag „Dialektik des Negativen: Probleme des positiven Journalismus“ verfasst.

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