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Das vielfältige Feld des Digitalspiel-Journalismus

Rezension des Handbuchs „Game-Journalismus“ (Springer VS Wiesbaden, 2023).

Das Handbuch von Benjamin Bigl und Sebastian Stoppe liefert einen überfälligen Beitrag zu Geschichte und Status quo des Game-Journalismus.

Es hätte kaum einen besseren Zeitpunkt für die Veröffentlichung eines Buches über Digitalspiel-Journalismus geben können. Denn nachdem vor Kurzem bereits das langjährige Print-Spielemagazin GamePro des französischen Verlags Webedia und auch Games Aktuell vom deutschen Computec Media Verlag eingestellt werden mussten, kochte die Debatte um die Krise im Digitalspiel-Journalismus wieder hoch.

Eine alte Diskussion erhält neue Nahrung

So konstatierte taz-Autor Martin Seng in seinem Beitrag „Neue Clickbait-Opfer“ am 30. Januar 2024 kritisch: „Die technikaffine Berichterstattung vernachlässigt aber oft die politischen und kulturellen Aspekte, die das Medium mit sich bringt. Themen wie Rechtsextremismus im Gaming, der wachsende Brancheneinfluss Chinas, russische Spiele-Propaganda oder auch unreflektierter US-Patriotismus sind im Gaming-Journalismus nur Randerscheinungen. Die Online-Magazine gehen den Bereich ,Games-Feuilleton‘ nur zaghaft an“ (Seng, 2024). Plötzlich stand damit erneut die Forderung nach einer kulturkritischeren Form des Digitalspiel-Journalismus im Raum. Nur, wie Seng selbst festhalten muss, endete nicht nur das von der Endkundschaft finanzierte Online-Magazin Wasted, sondern auch das GAIN-Magazin wenig später – beide Publikationen hatten sich einen essayistischeren und ganzheitlicheren Zugang zur Digitalspiel-Kultur auf die Fahnen geschrieben. Und wieder, so scheint es: Die Krise ist mit Händen greifbar.

Eine prompte Reaktion sollte nicht ausbleiben – so konterte Petra Fröhlich, Chefredakteurin des B2B-Onlinemagazins GameWirtschaft (und ehemalige Chefredakteurin u. a. des Digitalspiel-Printmagazins PC Welt) wenig später trocken: „Dabei müsste man doch irgendwann mal zur Kenntnis nehmen, dass der feuilletonistische Edelfeder-Ansatz analog zum real existierenden Sozialismus gescheitert ist. Immer und immer wieder. Von der Nachfrage nach einer solchen Dienstleistung könnten grob geschätzt keine 20 Leute auskömmlich (sprich: hauptberuflich) leben – in ganz Deutschland“ (Fröhlich, 2024). Also doch keine Krise, sondern vielleicht nur unterschiedliche Wahrnehmungsmuster?

Digitalspiel-Journalismus besser verstehen

Um diese historisch gewachsenen kulturellen und wirtschaftlich Komplexe innerhalb des Digitalspiel-Journalismus besser verstehen zu können, eignet sich das kürzlich bei Springer VS erschienene „Handbuch Game-Journalismus. Grundlagen – Themen – Spannungsfelder“ von Benjamin Bigl und Sebastian Stoppe exzellent. Es richtet sich als Recherchekompendium an Journalist:innen und Digitalspiel-Forscher:innen auf der einen Seite, ist jedoch auch für die Öffentlichkeitsarbeit im Game-Segment sowie interessierte Gamer:innen auf der anderen Seite geeignet. Auf rund 340 Seiten bietet der Band insgesamt 23 Beiträge, die in die Kapitel „Grundlagen des Game-Journalismus“, „Berichterstattungsgegenstände des Game-Journalismus“, „Anlässe der Berichterstattung“, „Berufsfelder im Game-Journalismus“, „Spannungsfelder des Game-Journalismus“ und schließlich „Recherche“ aufgeteilt sind.

Auf die Konzeption des Bandes angesprochen, äußerte sich Herausgeber Bigl folgendermaßen: „Für das Handbuch haben wir uns […] für eine Struktur entschieden, die man auch wiederfindet, wenn man andere Medien analytisch betrachtet. Jedes journalistische Medium hat seine spezifischen Gegenstände, über die es berichtet (bspw. Lokales), seine Themen (bspw. Sportereignisse) und spezifische Anlässe, wann die Berichterstattung passiert“ (Inderst, 2024). Weiterhin, so Bigl, der ursprünglich studierter Diplom-Journalist ist, fiel auf, „wie wenig fundierte Darstellungen es zum Game-Journalismus gibt“ (Inderst, 2024). Mit dieser Betrachtung hat Bigl recht – in der Vergangenheit war die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Feld sehr spärlich. Beginnt man erst einmal mit der Suche, stößt man unweigerlich auf die Magisterarbeit „Das Wesen und die Entwicklung des Computerspiele- und Videospielejournalismus unter besonderer Beachtung der Printmedien im deutschsprachigen Raum“ des österreichischen Journalisten Robert Glashüttner, die beinahe schon als ein Klassiker des Feldes gelten darf (Glashüttner, 2006). Da erscheint es nur folgerichtig, dass Glashüttner nun, 17 Jahre später, ebenfalls als Autor in dem Handbuch mit einem eigenen Beitrag erscheint.

Beiträge mit Bandbreite

Exemplarisch kann man die gelungene Bandbreite des Buches anhand folgender Beitragender aufzeigen: So versucht zum Beispiel der langjährige Journalist Andreas Garbe in seinem Aufsatz „Quotenbringer und Prügelknabe“ (Garbe, 2023) nachzuweisen, weshalb sich die Berichterstattung über PC- und Videospiele in den General-Interest-Medien in den letzten Jahren ausgerechnet durch Ex-US-Präsidenten Donald Trump zu normalisieren beginnt. Jochen Koubek wiederum, der als Professor im einzigen universitären Masterstudiengang zur Digitalspiel-Forschung in Deutschlands in Bayreuth lehrt und forscht, thematisiert in seinem Beitrag Verkäufe, Subskriptionen, Transaktionsgebühren und Advertising als vier Formen der Monetarisierung für Digitalspiele. Damit zeigt er auf, wie zielführend Digital-Game-Studies-Forschung und Berichterstattung thematisch eng geführt miteinander arbeiten können (Koubek, 2023).

Auch die für langjährige, teilweise arg polemisch geführte Diskussionstradition rund um Gewaltausbrüche als Folge einer Nutzung digitaler Spiele wird im Band thematisiert: So seziert Melanie Verhovnik-Heinze sachlich und nachvollziehbar exemplarisch, auf welche Art und Weise bestimmte Video- und Computerspiele in mehrgründig bestimmte Radikalisierungsprozesse hineinwirken können (Verhovnik-Heinze, 2023). Die Autorin rundet ihren lesenswerten Beitrag mit konkreten Handlunsempfehlungen für Medienschaffende ab.

Eine besondere Freude machte Herausgeber Stoppe wiederum dem hier rezensierenden Autor mit seinem Beitrag „Journalist spielen: Der Fall Zak McKracken“ (Stoppe, 2023). Es handelt sich um den letzten Aufsatz im Band; dieser möchte als Auseinandersetzung mit der heutigen Fake-News-Medienlandschaft – und damit im Grunde als Satireformat – verstanden werden. Wer tatsächlich noch mehr über die unterschiedlichen Darstellungen von Journalist:innen und Reporter:innen in digitalen Spielen lesen möchte, kann dies in dem folgenden Beitrag: „Zwischen ,rasenden Reporter:innen‘ und ,Action-Journaille‘ – journalistische Berufsbilder in digitalen Spielen“ (Inderst, 2023). Keine Sorge, auch Zak McKracken spielt dabei (s)eine Rolle.

Fazit

Die beiden Herausgeber legen mit ihrem Handbuch „Game-Journalismus“ eine kompakte, thematisch vielfältige, verständliche und gut lesbare Einführung in die Grundlagen, die Entwicklung und die Herausforderungen des Fachgebiets sowie aktuelle Trends und Herausforderungen für Journalist:innen und Spieler:innen vor. Besonders hervorzuheben ist, dass die Vielfalt der Medienformate, in denen digitale Spiele in ihrer diversen kulturellen Ausprägung zunehmend präsent sind, in den 15 Beiträgen abgebildet wird. So finden etwa Online-Magazine, Blogs, Podcasts und Videos hier ihren Platz. Bigl und Stoppe reflektieren damit ausführlich die Spannungsfelder, denen Digitalspiel-Journalist:innen gegenüberstehen, und bieten sowohl wissenschaftliche als auch praxisorientierte Einblicke zur Erforschung des Fachfeldes an.

Es bleibt zu hoffen, dass im Anschluss weitere Herausgeber:innen und Autor:innen dieses „Spannungsfeld“ (Inderst, 2013) für sich und ihre Forschung entdecken und entsprechend Folgebände erscheinen. Die Kaufpreise von 109,99 Euro für das E-Book bzw. 139,99 Euro für die Hardcover-Ausgabe erscheinen somit trotz der Höhe in den Augen des Rezensenten als gerechtfertigt.

Literaturverzeichnis:

  1. Fröhlich, P. (2024): Clickbait (Fröhlich am Freitag). In: GamesWirtschaft. URL: https://www.gameswirtschaft.de/meinung/froehlich-am-freitag-2024-05-clickbait/
  2. Garbe, A. (2023): Quotenbringer und Prügelknabe. In: Bigl, B., Stoppe, S. (eds) Game-Journalismus. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42616-3_14
  3. Glashüttner, R. (2006): Das Wesen und die Entwicklung des Computerspiele- und Videospielejournalismus unter besonderer Beachtung der Printmedien im deutschsprachigen Raum. Magisterarbeit. Wien: Universität Wien.
  4. Inderst, R. (2013): Spannungsfeld Spielejournalismus: Von Testern und Träumern. S. 173 – 185. In: Jochen Koubeck / Michael Mosel / Stefan Werning (Hrsg.): Spielkulturen: Funktionen und Bedeutungen des Phänomens Spiel in der Gegenwartskultur und im Alltagsdiskurs. Glückstadt.
  5. Inderst, R. (2023): Zwischen „rasenden Reporter:innen“ und „Action-Journaille“ – journalistische Berufsbilder in digitalen Spielen. In: Fachjournalist. URL: https://www.fachjournalist.de/journalistische-berufsbilder-in-digitalen-spielen/
  6. Inderst, R. (2024): Über das Schreiben über Spiele schreiben. Im Gespräch mit Benjamin Bigl. In: Nahaufnahmen. URL: https://www.nahaufnahmen.ch/2024/02/12/ueber-das-schreiben-ueber-spiele-schreiben/
  7. Koubek, J. (2023): Monetarisierung von Computerspielenden. In: Bigl, B., Stoppe, S. (eds) Game-Journalismus. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42616-3_18
  8. Seng, M. (2024): Neue Clickbait-Opfer. In: taz. URL: https://taz.de/Krise-der-Gaming-Magazine/!5985738/
  9. Sigl, R. (2012): Eine Branche im Umbruch: Der Games-Journalismus in der Krise. In: derStandard.at. URL: https://www.derstandard.at/story/1350261143943/eine-branche-im-umbruch-der-gamesjournalismus-in-der-krise
  10. Stoppe, S. (2023): Journalist spielen: Der Fall Zak McKracken. In: Bigl, B., Stoppe, S. (eds) Game-Journalismus. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42616-3_23

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Buchdaten:
Herausgeber: Benjamin Bigl und Sebastian Stoppe
Titel: Game-Journalismus. Grundlagen – Themen – Spannungsfelder. Ein Handbuch
Preis: Euro 139,99 € (D) und 143,92  Euro (A) (Hardcover) /109,99 Euro (D und A) (E-Book)
Umfang: 224 Seiten
Erscheinungsjahr: 2023
Verlag: Springer VS
ISBN: 978-3-658-42615-6

 


Der Rezensent, der Autor Dr. phil. Dr. rer. cult. Rudolf Thomas Inderst ist Ressortleiter für Digitalspiele beim Kulturjournal Nahaufnahmen und Professor für Game Design an der IU Internationale Hochschule. Er ist Gründer des Podcast Game Studies bei New Books Network und editiert den wöchentlichen Newsletter DiGRA D-A-CH Game Studies Watchlist. Er spricht regelmäßig über Themen der digitalen Spielkultur. Kontakt: rudolf.inderst@googlemail.com.

 

 

 

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