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Filmkritik zu „She Said“: Das unergründete System

Maria Schraders Film She Said widmet sich der journalistischen Arbeit, die Harvey Weinstein zu Fall brachte, dringt aber zu keinem aufschlussreichen Kern vor.

Auch fünf Jahre nach dem Skandal ist er in den Medien noch immer präsent: Nachdem er 2020 in New York für diverse Fälle sexueller Nötigung und Vergewaltigung zu 23 Jahren Haft verurteilt wurde, steht der Filmproduzent Harvey Weinstein aktuell in Los Angeles wegen weiterer Vorwürfe vor Gericht. Umso bemerkenswerter ist, dass Weinstein in dem Film zu den Recherchen der New York Times-Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey, die ihn damit 2017 zu Fall brachten und die #MeToo-Bewegung in Gang setzten, unsichtbar bleibt. Kein einziges Mal ist Weinstein, weder in Originalaufnahmen noch von einem Schauspieler verkörpert, hier zu sehen. Stattdessen lenkt She Said den Fokus von Beginn an auf die Erfahrungen der im Fall Weinstein betroffenen Frauen.

Arbeitende Frauen im Fokus

She Said setzt in Irland an, im Jahr 1992, als eine junge Frau beim Spaziergang am Strand zufällig in die Dreharbeiten zu einem Historienfilm platzt. Fasziniert vom geschäftigen Treiben um sie herum heuert sie bald als Setrunnerin für ebendiesen Film an – eine anstrengende Tätigkeit, bei der man ständig unter Strom steht, aber an der die junge Frau sichtlich Spaß hat. Diese kurze Eingangssequenz wird jäh von einem harten Schnitt unterbrochen, in der sie plötzlich weinend, die Arme schützend vor ihrer Brust verschränkt, durch eine Straße läuft. Wie wir später erfahren werden, ist diese Frau Laura Madden, die 2017 öffentlich schwere Vorwürfe gegen Harvey Weinstein erheben wird, mit dem sie Anfang der 1990er-Jahre eng zusammengearbeitet hat.

Von hier aus springt die Handlung zu einem sommerlichen Morgen ins Jahr 2016 in New York, an dem zahlreiche Frauen ihre Arbeitsstätten ansteuern. Zwei von ihnen sind die Journalistinnen Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Mulligan). Knapp ein Jahr darauf wird ihr Enthüllungsbericht über Harvey Weinstein in der New York Times erscheinen, 2019 dann ihr Buch She Said: Wie das Schweigen gebrochen wurde und die #MeToo-Bewegung begann, auf dem dieser Film weitgehend beruht. Er zeigt im Folgenden, womit sie 2016 noch beschäftigt sind: Jodi recherchiert für einen Bericht über aus Syrien Geflüchtete, während Megan mit einer Frau spricht, die von Donald Trump (damals Präsidentschaftskandidat) ihrer Aussage nach sexuell belästigt wurde.

Schon an dieser Stelle zeichnet sich ab, was die journalistische Enthüllung von Fällen sexualisierter Gewalt erschwert: Die Opfer müssen sich nicht nur überwinden, ihre schmerzhaften persönlichen Erlebnisse den Reporter*innen anzuvertrauen, sondern im besten Fall auch bereit sein, namentlich im Artikel erwähnt und zitiert zu werden, damit dieser keine haltlosen Vorwürfe beinhaltet. Obgleich es Megan gelingt, die betroffenen Frauen im Fall Trump zum Reden zu bringen, kann sie nicht verhindern, dass diese später, wie sie selbst auch, belästigt und bedroht werden. Der Gegner und seine Anhänger scheinen zu übermächtig und das Risiko zu hoch, sich selbst mit der Veröffentlichung solcher Vorwürfe zu schaden.

Die New York Times-Journalistinnen Jodi Kantor (links, gespielt von Zoe Kazan) and Megan Twohey (Carey Mulligan) in „She Said“. © 2022 Universal Studios. All Rights Reserved.

Erzwungene Verschwiegenheit

Während Megans Bericht über Trump kaum Konsequenzen für ihn hat, gelingt ihr mit ihrer Arbeit über die zahlreichen Belästigungsvorwürfe gegen Fox News-Moderator Bill O’Reilly ein Triumph: O’Reilly wird im April 2017 von seinem Sender (der ohnehin schon mit diversen weiteren diesbezüglichen Skandalen zu kämpfen hatte, wie der Film „Bombshell“ eindrucksvoll darstellt) entlassen. Zu dieser Zeit tritt Megan ihren Mutterschutz an. Unterdessen ist Jodi bereits mit den Recherchen über den mächtigen Hollywood-Filmproduzenten Harvey Weinstein beschäftigt, zu dem schon seit Längerem Gerüchte über sein übergriffiges Verhalten gegenüber Schauspielerinnen kursieren.

Jodis Recherchen führen sie von bekannten Schauspielerinnen wie Rose McGowan, Gwyneth Paltrow und Ashley Judd (nur Letztere ist in diesem Film auch wirklich zu sehen und spielt sich selbst) schließlich zu Frauen, die hinter den Kulissen beschäftigt waren und Weinstein in den 1990er-Jahren als junge Assistentinnen zuarbeiteten. Mit Megan, die gerade nach ihrer Elternzeit die Arbeit wieder aufgenommen hat und mit postnatalen Depressionen kämpft, sucht Jodi diese Frauen auf, um sie zu ihren Erfahrungen mit Weinstein zu befragen. She Said gelingt es dabei, sich den realen Geschichten jener betroffenen Frauen sensibel zu nähern: So offenbart etwa Rowena Chiu (Angela Yeoh), die von Weinstein massiv bedrängt worden war, dass sie sich trotz der mutigen Unterstützung ihrer Kollegin Zelda Perkins (Samantha Morton) am Ende für eine Versetzung innerhalb Weinsteins Produktionsfirma entschieden hat – zu groß war ihre Angst vor Vergeltungsschlägen durch den mächtigen Filmproduzenten, die ihr Karriere-Aus bedeutet hätten. Nichtsdestotrotz hatte sie in der Folgezeit mit Depressionen und Selbstmordgedanken zu kämpfen. Und schließlich bringt die eingangs erwähnte Laura Madden (Jennifer Ehle), inzwischen vierfache Mutter, bei der kürzlich Brustkrebs diagnostiziert wurde, auf den Punkt, was die Übergriffe durch Weinstein in jungen Jahren bei ihr bewirkt haben: „Es war, als hätte er mir an diesem Tag meine Stimme gestohlen, gerade als ich dabei war, sie zu finden.“

Das thematisierte, aber unergründete System

Es ist lobenswert, dass das Drehbuch von Rebecca Lenkiewicz diesen wichtigen Reflexionen über sexualisierte Gewalt genügend Raum bietet, während es den Rechercheplot in der ersten Hälfte des Films kurzweilig vorantreibt. Doch im dritten Akt offenbart sich schließlich die Schwachstelle von She Said: Eingangs wurde sowohl von Rose McGowan (Kelly McQuail als ihre Telefonstimme) als auch von Rebecca Corbett (Patricia Clarkson), der stellvertretenden Chefredakteurin der New York Times, darauf hingewiesen, dass Weinsteins Übergriffe Teil eines umfassenderen Systems seien. Danach wäre zu erwarten, dass genau dieses im Film näher ergründet wird. Schließlich hat Weinstein nicht in einem Vakuum agiert, sondern wurde gestützt von einer Filmbranche, die lieber seine Erfolge feierte, anstatt den Gerüchten über seine sexuellen Übergriffe nachzugehen. Zudem stellt sich auch die Frage, wie das offene Geheimnis um sein Fehlverhalten über Jahrzehnte von US-Medien weitgehend unangesprochen bleiben konnte.

She Said streift diese Fragen mehrmals, verweist dann aber vornehmlich auf die Schwierigkeit der Verschwiegenheitsabmachungen, die viele von Weinsteins Opfern im Zuge von Vergleichszahlungen eingegangen sind. Um zum Kern des so oft angesprochenen, aber nicht näher hinterfragten Systems hinter den sexuellen Übergriffen vorzudringen, wäre es nötig gewesen, sich mit Weinsteins Status und Ruf vor dem Skandal näher zu befassen. Dies allerdings vermeidet der Film weitgehend. Mit Letzterem setzt sich Der Bericht, den Jodi Kantor und Megan Twohey am 5. Oktober 2017 veröffentlicht haben, schließlich sehr wohl auseinander: „In der Öffentlichkeit präsentiert er sich als liberaler Löwe, als Verfechter der Frauen und als Preisträger nicht nur künstlerischer, sondern auch humanitärer Auszeichnungen.“ She Said verpasst damit die Gelegenheit, zu beleuchten, wie dieses öffentliche Image von Weinstein über Jahrzehnte aufrechterhalten werden konnte.

Ehrfurcht und Distanz

Dies lässt sich noch weitgehend mit der Entscheidung von Lenkiewicz und Schrader gegen eine tatsächliche Darstellung von Harvey Weinstein als Figur erklären – und es ist durchaus verständlich, dem Täter nicht zu viel Raum in solch einem Film gewähren zu wollen. Doch was dadurch umso augenfälliger wird, ist die fehlende Charakterisierung der beiden Frauen, die die Enthüllung des Skandals vorantreiben: Jodi Kantor und Megan Twohey werden hier als unermüdlich und mutig agierende Journalistinnen dargestellt, die als Mütter auch privat einiges zu stemmen haben. Dabei aber werden sie aus einer seltsamen Distanz und fast schon ehrfurchtsvoll betrachtet. Dass Kantor und Twohey die Entstehung des Drehbuchs von Lenkiewicz eng begleitet haben, legt die Vermutung nahe, dass sie auch einige Kontrolle über ihre Darstellung im Film bewahren konnten. Hinzu kommt die auf Faktentreue und Klarheit fokussierte Inszenierung von Regisseurin Maria Schrader (Unorthodox, Ich bin dein Mensch). Diese trägt zum etwas eintönigen Bild zweier blütenrein rechtschaffener Protagonistinnen bei – und garniert dann das Ganze noch mit in Pathos schwelgenden Triumphmomenten zum Ende hin.

Was mit She Said treibend und interessant begann, wird aufgrund dieser blass bleibenden Figuren und der thematischen Abflachung im zweiten Teil des Films dann leider doch nicht dem gerecht, was Kantor und Twohey mit ihrem Artikel bewirkt haben: Er war der Auftakt zu einer umfassenden gesellschaftlichen Bewegung, die etablierte Machtstrukturen von Grund auf hinterfragt.

 

She Said
USA 2022. 129 Min.
Regie: Maria Schrader. Drehbuch: Rebecca Lenkiewicz
Kamera: Natasha Braier
Besetzung: Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Andre Braugher, Jennifer Ehle, Ashley Judd, Samantha Morton, Angela Yeoh

Illustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)

Die Autorin Dobrila Kontić hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK) studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin, Film- und Serienkritikerin in Berlin.

 

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