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Sportjournalismus: Dopingberichterstattung im Abseits

Ausgewählte Ergebnisse der Studie „Wissen und Einstellung von Sportjournalisten in Deutschland zum Thema Doping“ der TU München

Wie viele Sportjournalisten berichten regelmäßig über Doping? Wie schätzen Medienvertreter subjektiv ihre Kompetenz beim Thema Doping ein? Gibt es objektivierbare Wissensdefizite? Um solche und andere Fragen zu beantworten, wurde von der Sportfakultät der TU München eine Onlinebefragung durchgeführt, an der sich 850 Sportjournalisten beteiligt haben. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie „Wissen und Einstellung von Sportjournalisten in Deutschland zum Thema Doping“ fasst der Leiter des Arbeitsbereichs Medien und Kommunikation an der Sportfakultät der TU München, Michael Schaffrath, hier zusammen.

5000 Dopingkontrollen werden bei den derzeit stattfindenden Olympischen Spielen in Rio durchgeführt. Wie viele davon positiv ausfallen, ist noch offen. Zwar gibt es aktuell aufgrund der Enthüllungen der ARD-Doping-Redaktion um Hajo Seppelt zum Staatsdoping der russischen Leichtathletik eine größere publizistische Sensibilität für das Problem, aber ob dies über Olympia hinaus etwas an der bisherigen Ignoranz und der großen Selektivität der Medien gegenüber Doping ändert, kann durchaus bezweifelt werden. Denn in der Vergangenheit hat sich der deutsche Sportjournalismus „vergleichsweise wenig mit der Dopingproblematik beschäftigt“, bilanzierten die Medienforscher Dr. Holger Ihle und Dr. Jörg-Uwe Nieland völlig zurecht (Ihle, H./Nieland, U. 2013, S. 156). Auch die Sportwissenschaftler Prof. Dr. Thorsten Schauerte und Prof. Dr. Jürgen Schwier kritisierten noch letztes Jahr, dass das „eigentlich allgegenwärtige Thema Doping (…) eher konsequent ausgeblendet“ wird (Schauerte, T./Schwier, J. 2015, S. 234). Für den Dopingexperte Prof. Dr. Werner Franke betreiben die meisten Sportjournalisten sogar „Betrug am Volk“, weil sie bisher „im Anti-Doping-Kampf wenig beigetragen“ hätten (zit. nach Werner, A. 2015, S. 18).

Das liegt an verschiedenen Rahmenfaktoren (vgl. dazu Schaffrath. M./Kautz, F./Schulz, T. 2016, S. 220-223):

  • am massiven „Kosten- und Zeitdruck“, der investigative Dopingrecherchen aus wirtschaftlichen Gründen für viele Redaktion erschwert oder gar unmöglich macht;
  • an der gestiegenen „Unterhaltungsorientierung“ bei der Sportberichterstattung und im Selbstverständnis der Sportberichterstatter, die Kritik und Kontrolle konterkariert;
  • an einer Vielzahl „interdependenter“ und „symbiotischer“ Beziehungen zwischen Sportlern und Journalisten, die vor dem Hintergrund beidseitiger kommerzieller Interessen ein Enthüllen von Dopingvergehen menschlich erschwert und ökonomisch kontraproduktiv erscheinen lässt  (vgl. Schaffrath 2016: 699).

Die mediale Ignoranz ist aber auch auf mangelnde Kompetenz und defizitäres Wissen der Journalisten zurückzuführen. Das belegt die Studie „Wissen und Einstellungen von Sportjournalisten in Deutschland zum Thema Doping„. Diese wurde vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISP) gefördert, von der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) und dem Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) unterstützt und am Arbeitsbereich für Medien und Kommunikation in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Präventive Pädiatrie der Sportfakultät der TU München durchgeführt.

Methode, Stichprobe, Rücklauf

Die Studie war als Onlinebefragung mit 38 Fragen konzipiert, die in der Zeit vom 27. November 2012 bis zum 27. Februar 2013 stattfand. Angeschrieben wurden alle 3.155 im VDS organisierten Journalisten sowie 15 Mitglieder des damaligen Sportnetzwerkes. Von den insgesamt 3.170 Sportjournalisten nahmen 875 an der Befragung teil. Nach der Datenbereinigung umfasste der Rücklauf 850 Fragebögen, wovon 709 bis zum Ende ausgefüllt wurden. Damit ist diese Studie die bisher größte Sportjournalisten-Umfrage zum Thema Doping und Dopingberichterstattung in Deutschland. Mit Blick auf die Zielgruppe sowie das komplexe Thema wird die Rücklaufquote von 26,8 Prozent als gut eingestuft. Bezogen auf die Merkmale „Geschlecht“ und „Alter“ ist die Studie repräsentativ für die im VDS organisierten Sportjournalisten in Deutschland. Einige ausgewählte Ergebnisse der Studie im Überblick:

Wenige Dopingberichterstatter

Die Mehrheit der Sportjournalisten publiziert zu Doping nichts. 62,9 Prozent der Befragten geben an, in den vorausgegangenen zwölf Monaten keinen einzigen Beitrag zu diesem Thema veröffentlicht zu haben. 33 Prozent produzieren einen bis zehn Beiträge. Zu der Gruppe der „Viel-Publizierer“ mit elf und mehr Beiträgen pro Jahr können nur 4,1 Prozent aller Sportjournalisten gezählt werden.

Subjektive Kompetenzdefizite

Die Gründe für diesen hohen Grad an Berichterstattungsabstinenz sind vielfältig (siehe Abb. 1). Die theoretisch angenommenen Rahmenfaktoren für die Dopingberichterstattung finden im Antwortverhalten ihre empirische Entsprechung: Vier Fünftel der Befragten räumen ein, dass sie bisher noch keine Chance hatten „über Doping zu berichten“, 63,7 Prozent konzedieren, das Thema Doping „spielt in meiner Redaktion keine Rolle“. Zu weiteren Hauptursachen für den häufigen Publikationsverzicht gehören das Eingeständnis einer „defizitären Ausbildung“ sowie der „fehlenden Kompetenz“: Drei Viertel der Sportjournalisten fühlen sich „für diese Thematik nicht ausreichend ausgebildet“, knapp zwei Drittel halten sich für „nicht kompetent“. Demgegenüber ist aber ein grundsätzliches Interesse am Thema Doping vorhanden, denn immerhin 80 Prozent negieren die Aussagen, dass Doping „sie kaum interessiere“.

Abbildung1

Abb. 1: Gründe für die Berichterstattungsabstinenz (Angaben in Prozent)

Die Selbsteinschätzungen zur Kenntnis von fünf vorgegebenen Dopingaspekten konkretisieren die Kompetenzdefizite (siehe Abb. 2). Bei „medizinischen“, „physiologischen“ und „sportrechtlichen“ Aspekten attestieren sich nicht einmal 30 Prozent der Befragten „sehr große“ oder zumindest „große“ Kenntnisse. Angesichts des Zeit- und Finanzdrucks in den Redaktionen ist sogar nachvollziehbar, dass bei vielen Sportjournalisten kaum adäquate Möglichkeiten bestehen, sich vernünftig in die Thematik einzuarbeiten. Gerade einmal 14 Prozent der Befragten bezeichnen ihr Wissen zum NADA-Code als „sehr groß“ oder „groß“. Da der NADA-Code aber die Basis für die Entscheidung darstellt, ob überhaupt Doping vorliegt oder nicht, müssen solche Unsicherheiten bei so grundlegenden Fragen zu medialer Zurückhaltung führen.

Abbildung2

Abb. 2: Selbsteinschätzungen von Kenntnissen zu Dopingaspekten (Angaben in Prozent)

Objektivierbare Wissenslücken

Jenseits des Problems, ob Onlineumfragen überhaupt das geeignete Instrument sind, um   Wissensbestände zu eruieren, weil jeder Befragte die richtige Lösung auch recherchieren könnte, wurde in dieser Studie ein solcher Versuch gewagt. Es wurden drei Wissensfragen generiert mit insgesamt 13 Wissenitems.

Die erste Frage nach dem korrekten Prozentwert positiver Dopingtests beantworteten immerhin 42,1 Prozent richtig. Bei der zweiten Frage nach sechs verschiedenen Dopingtatbeständen konnten nur 8,3 Prozent aller Befragten die sechs richtigen Antworten identifizieren. Bei der dritten Wissensfrage zu den Aufgaben der NADA schafften es gerade einmal 2,2 Prozent, die sechs korrekten Antworten zu finden.

Wie unterschiedlich, aber doch eher niedrig das Wissen ausfällt, zeigt die Auswertung zu den drei Wissensfragen (siehe Abb. 3). 13 richtige Antworten wären möglich gewesen. Diesen Maximalwert erreichten nicht einmal 0,4 Prozent aller Befragten. Wird die Anzahl der richtigen Antworten als Hinweis auf das vorhandene Wissen gewertet – nach dem Schema 13 bis 10 richtige Antworten = „hohes“ Wissen,  9 bis 6 = „mittleres“ Wissen, 5 bis 1 = „geringes“ Wissen und 0 = „kein“ Wissen, dann ergibt sich folgendes Bild: 13,7 Prozent der Sportjournalisten kann man ein „hohes“ Wissen zum Thema Doping attestieren; 56,3 Prozent der Befragten verfügen über ein „mittleres“, 28,5 Prozent über ein „geringes“ und 1,5 Prozent über „kein“ Wissen.

Abbildung3

Abb. 3: Wissen: Richtige Antworten gesamt (Angaben in Prozent)

Die Wissensbestände werden von der Berichterstattungsintensität beeinflusst, wie Mittelwertvergleiche zeigen. „Viel-Publizierer“ wissen 8,34 richtige Antworten und damit mehr als „Wenig-Publizierer“ mit 7,58 und „Nicht-Publizierer“ mit 6,66 korrekten Angaben im Schnitt.

Leitwölfe in der Dopingberichterstattung

Als „Leitmedien“ oder „Leitjournalisten“ gelten im Journalismus diejenigen, die von den Kollegen regelmäßig rezipiert werden und die oft als Quelle für die Berichterstattung dienen. Für 41,3 Prozent bzw. 41,8 Prozent aller Befragten gibt es „Doping-Leitmedien“ bzw. „Doping-Leitjournalisten“.

Bei den Medien wird von knapp zwei Dritteln der 313 Befragten, die Leitmedien im Doping überhaupt identifizieren, die „Süddeutsche Zeitung“ genannt. Bei den Journalisten liegt Hajo Seppelt an der Spitze. Mehr als zwei Drittel der 315 Befragten, die „Doping-Leitjournalisten“ ausmachen, attestieren dem ARD-Mitarbeiter diesen Status (Tab. 1).

Doping-LeitmedienAngaben in ProzentDoping-LeitjournalistenAngaben in Prozent
Süddeutsche Zeitung64,2Hajo Seppelt66,3
ARD36,4Thomas Kistner34,9
FAZ24,2Jens Weinreich12,6
Der Spiegel14,1Anno Hecker4,4
WDR10,8Andreas Burkert4,1

Fazit

Doping ist Betrug am Sport, der bei den Olympischen Spielen nach Einschätzung vieler Experten massenhaft vorkommen dürfte. Wie viele Dopingsünder tatsächlich erwischt werden und dann auch für Schlagzeilen sorgen, ist offen. Klar ist schon jetzt, dass eine adäquate journalistische Aufarbeitung von Dopingfällen mehr sein sollte als das reflexartige An-den-publizistischen-Pranger-Stellen einzelner Athleten. Die Thematisierung struktureller Hintergründe des Dopings, bei dem die Medien sich als Mitverursacher des Problems erkennen sollten, fordern die Soziologen Prof. Dr. Karl-Heinrich Bette und Prof. Dr. Uwe Schimank seit Jahren (Bette, K-H./Schimank, U. 2006, S. 164f; Bette, K.H. 2007; Bette, K.H. 2008).

Die Befragung zeigt, dass eine gegenüber dem Einzelsportler kritische und trotzdem Strukturen reflektierende Dopingberichterstattung nicht am Wollen der Sportjournalisten scheitert, sondern – neben defizitären Ressourcen – auch am Nicht-Können der Medienmitarbeiter liegt. Die meisten Befragten fühlen sich subjektiv nicht kompetent genug und offenbaren objektivierbar viele Wissenslücken. Trotzdem wäre es für die Reputation des Sportjournalismus wichtig, dass das Thema nicht komplett im Abseits steht!

Hinweis der Redaktion: Am kommenden Donnerstag erscheint an dieser Stelle ein Beitrag über die Dopingberichterstattung im Fußball – die Sportart Nummer eins in Deutschland.

Literatur:

Bette, K.-H.; Schimank, U. (2006): Die Dopingfalle. Soziologische Betrachtungen. Bielefeld: transcript.

Bette, K.-H. (2007): „Die Massenmedien haben sich noch nicht als Mitverursacher des Dopingproblems entdeckt“. Ein Interview mit dem Sportsoziologen Karl-Heinrich Bette. In: Meutgens, R. (Hrsg.): Doping im Radsport, 2. Auflage. Kiel: Delius Klasing Verlag, S. 191-195.

Bette, K.-H. (2008): Doping im Leistungssport – zwischen individueller Schuld und kollektiver Verantwortung. In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 59 (1), S. 5-11.

Ihle, H.; Nieland, J.-U. (2013): Dopingaufklärung in der Unterhaltungsfalle? Überlegungen zum Umgang mit Doping im medialisierten Sport. In: Meinberg, E.; Körner, S. (Hrsg.): Doping kulturwissenschaftlich betrachtet. St. Augustin: Academia Verlag, S. 155-171.

Schauerte, T.; Schwier, J. (2015): Skandalöse Neuigkeiten. Die Aufbereitung des Themas Doping in den Medien. In: Dresen, A.; Form, L.; Brand, R. (Hrsg.): Dopingforschung. Perspektiven und Themen. Schorndorf: Hofmann-Verlag, S. 231-249.

Schaffrath, M. (2016): Journalismus und Sport. In: Löffelholz, M.; Rothenberger, L. (Hrsg.): Handbuch Journalismustheorien. Wiesbaden: Springer VS, S. 699-712.

Schaffrath, M.; Kautz, F.; Schulz, T. (2016): Kompetenzprobleme wegen Komplexität. Wissensdefizite von Sportjournalisten beim Thema Doping. In: Medien und Kommunikationswissenschaft, Nr. 2, S. 219-243.

Werner, A. (2015): Sportjournalisten betreiben „Betrug am Volk“. Interview des Monats mit Werner Franke. In: Sportjournalist 64, (5), S. 18f.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Prof. Michael SchaffrathDer Autor Prof. Dr. Michael Schaffrath ist Leiter des Arbeitsbereichs Medien und Kommunikation an der Sportfakultät der TU München. Vorherige wissenschaftliche Stationen: Deutsche Sporthochschule Köln, TU Dresden sowie die Universitäten in Lüneburg, Gießen und Koblenz-Landau. Schaffrath ist Herausgeber der Schriftenreihe „Sportpublizistik“ sowie der Sammelbände „Sport-PR und PR im Sport“ und „Traumberuf Sportjournalismus“. Er ist Autor von zehn Fachbüchern und zahlreicher Aufsätze zu Themen der Sportkommunikation.
Kontakt: michael.schaffrath@tum.de

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