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Überschrift – Vorspann – Bildunterschrift: Kleine Texte ganz groß (Teil 1)

Kleintexte – das hört sich so an, als handle es sich um unwichtige Elemente. Um Kleinkram. Dieses Gefühl scheint jedenfalls in vielen Redaktionen zu bestehen. Dort wird den Kleintexten oft nur eine geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei sind Überschrift, Vorspann und Bildunterschrift wesentliche Elemente eines Textes.

Misslingen die Kleintexte, stößt ein Leser erst gar nicht bis zum eigentlichen Artikel vor. Kleintexte können neugierig machen, den Leser informieren – oder ihn sich abwenden lassen. Im Online-Journalismus lässt sich anhand der Klickrate leicht nachvollziehen, ob eine Überschrift oder ein Teaser die Aufmerksamkeit der User erregt hat. Deshalb sind Printjournalisten, die kein so unmittelbares Feedback bekommen, manchmal nachlässiger als ihre Netzkollegen. Aber für alle gilt: Wer sich an ein paar Regeln hält und einige Tricks und Kniffe beherzigt, kann mit guten Kleintexten viele Leser für sich gewinnen. Welche das sind, lesen Sie in den drei Folgen über die drei wichtigsten Formen von Kleintexten: Überschrift, Vorspann und Bildunterschrift.

Locken und informieren  wie gute Überschriften funktionieren

Artikel ohne Kleintexte funktionieren nicht, weil sie den Leser orientierungslos lassen. Über allem steht dabei – die Überschrift.

Überschriften haben zwei Funktionen:

  • Sie sollen den Leser in aller Kürze über den Inhalt des Artikels informieren.
  • Sie sollen den Leser anregen, den Artikel zu lesen.

Wolf Schneider und Detlef Esslinger stellen darüber hinaus in ihrem Buch „Die Überschrift“ fünf Forderungen an eine gute Überschrift:

  1. Die Überschrift muss eine klare Aussage haben.
  2. Diese Aussage sollte die zentrale Aussage des Textes sein.
  3. Sie darf den Text nicht verfälschen.
  4. Sie muss korrekt, leicht zu fassen und unmissverständlich formuliert sein.
  5. Sie sollte einen Leseanreiz bieten.

Die Regeln 1 und 5 können gelegentlich in einen Zielkonflikt treten. Deshalb unterscheide ich zwischen

  • nachrichtlichen Überschriften und
  • lockenden Überschriften.

Je nach Medium und Darstellungsform des Artikels dominiert die eine oder die andere Funktion.

Nachrichtliche Überschriften für Nachrichten

Nachrichtliche Artikel, also Meldungen oder Berichte, haben in der Regel eine nachrichtliche Überschrift. Das bedeutet: Die Überschrift fasst in wenigen Worten den Küchenzuruf des Artikels zusammen. Dies lässt sich am einfachsten an einigen Beispielen zeigen: „80.000 Mängel bei Textilfabriken in Bangladesch festgestellt“ (Deutschlandfunk.de am 14. Oktober 2014); „Ebola-Patient in Leipzig gestorben“ (Spiegel.de am 14. Oktober 2014); „BASF eröffnet Produktionsstandort im indischen Dahej“ (kunststoffe.de am 14. Oktober 2014). In allen drei Fällen bemüht sich die Überschrift, den Kern der Nachricht zusammenzufassen, ohne ihn zu kommentieren.

Nachrichtliche Überschriften setzen beim Leser ein bestimmtes Weltwissen voraus. Völlig ohne Vorwissen kommt keine Überschrift aus. So müssen Leser der DLF-Überschrift wissen, dass es in dem asiatischen Land Bangladesch viele Textilfabriken mit fragwürdigen Arbeitsbedingungen gibt, und die der Spiegel-Online-Überschrift müssen bereits davon gehört haben, dass ein Patient mit der Krankheit Ebola in einem Leipziger Krankenhaus behandelt wurde. Jede Überschrift setzt ein notwendiges Maß an Verkürzung voraus. In den meisten Printmedien kommt hinzu, dass das Maß an Verkürzung durch das Layout vorgegeben ist. Der Autor wird also in der Regel einen Kompromiss zwischen Verständlichkeit und Kürze eingehen müssen.

Daraus folgt: Journalisten müssen sich fragen, über welches Vorwissen ein typischer Leser ihres Mediums verfügt. Bei einem Leser des Handelsblatts kann er zum Beispiel die Kenntnis der Abkürzung EZB für Europäische Zentralbank oder das Wissen darum, was ETF-Fonds sind, voraussetzen. Für die Leser der Ostsee-Zeitung oder der Heilbronner Stimme gilt das nicht. Fachjournalisten müssen hier besonders abwägen: Viele ihrer Leser gehören zu einem Fachpublikum. Aber dieses ist oft stark spezialisiert. Versteht also ein Experte für einen kleinen Teilbereich die Überschrift in seinem Fachmedium zu einem Beitrag über einen anderen Teilbereich?

Überschriften im Präsens
Im deutschen Journalismus sind Überschriften einer Konvention gemäß im Präsens verfasst, wenn sie ein Verb enthalten. Also: „Salafist aus Offenbach reist trotz Fußfessel nach Syrien“ (FAZ.net am14.Oktober 2014), obgleich der Mann zum Zeitpunkt der Meldung bereits in Syrien angekommen ist, es also grammatisch korrekt „reiste“ oder „ist gereist“ heißen müsste. In der Schweiz und in Österreich sind übrigens Überschriften im Imperfekt üblich.

Möglich sind auch Partizip-Konstruktionen, zum Beispiel „Polizei-Blitzmarathon: Viele Raser trotz Warnung bei Facebook geblitzt“ (Göttinger Tagblatt, 15. Mai 2015). Oder man verzichtet ganz auf das Verb: „Vergleich im Streit um Werkverträge“ (Stuttgarter Zeitung, 14.Oktober 2014).

Und was ist mit Satzzeichen?
Dass eine Überschrift nicht mit einem Punkt endet, ist klar. Die Überschrift ist an sich schon ein Ausruf. Deshalb endet sie auch nicht mit einem Ausrufezeichen, jedenfalls nicht im seriösen Journalismus und bei nachrichtlichen Überschriften. Eine Ausnahme ist der Boulevard. Dort sind Ausrufezeichen häufig zu finden, weil sie den reißerischen Charakter der Headline unterstreichen.

Fragezeichen hingegen sind in vielen Redaktionen umstritten. Einige argumentieren, ihr Medium frage nicht, es antworte. Das ist eine recht dogmatische Sicht. Nach Ansicht der meisten Redakteure ist eine Frage erlaubt, wenn sie den Küchenzuruf des Artikels widergibt, zum Beispiel eine begründete Spekulation: „Millionenbetrug mit fingierten Verträgen?“ (Stuttgarter Zeitung). Eine haltlose oder kaum begründete Spekulation à la „XY – War er der Täter?“ kaschiert hingegen nur einen Mangel an Fakten. Gelegentlich kann hingegen eine erkennbar rhetorische Frage die Neugier des Lesers anheizen: „Xavier Naidoo: Dreht er jetzt völlig ab?“ (Bunte.de am 14.Oktober 2014).

Lockende Überschriften für Zeitschriften und Internet

Noch immer dominiert im Tageszeitungsjournalismus und in vielen Fachmedien die nachrichtliche Überschrift. Das ist auch gut so, denn sie erlaubt dem Leser eine effiziente und zeitökonomische Lektüre. Man kann dennoch einen Wandel beobachten. Lockende und kommentierende Überschriften halten auch hier Einzug. In Publikumszeitschriften sind sie schon lange üblich, im Internet gewinnen sie an Bedeutung. Auch in Fachmedien können sie in dosierter Form sinnvoll sein.

Für lockende Überschriften gibt es eine Reihe von Methoden:

  1. Arbeiten mit Lockwörtern (Triggerwords). Dazu gehören Sex, Geheimnis, Rätsel, kostenlos. Nur eines von vielen Beispielen: „Mehr Sex dank besserer Orientierung“, (Stuttgarter Zeitung).
  2. Emotionalisierung. Hierfür werden emotionalisierende Begriffe verwendet, die zum Beispiel Angst, Wut oder Mitgefühl auslösen: „Anti-Stress-Verordnung und Lohn-Gesetz: Jetzt drehen die Sozial-Träumer durch“ (Empörung, focus.de am 14. Oktober 2014). Oder auch: „Dieses junge Mädchen hat Krebs – wie sie es zeigt, lässt Herzen erweichen“ (Mitgefühl, focus.de am 14. Oktober 2014).
  3. Nutzwertversprechen. Hier wird dem Leser erklärt, wie er durch die Lektüre sein Leben schöner, gesünder, effizienter und gewinnbringender leben kann. Ein Beispiel: „Die besten Trainings-Methoden für mehr Kraft“ (menshealth.de am 9. Oktober 2014).
  4. Wortspiele und Anspielungen, zum Beispiel an berühmte Filmtitel, Gedichtzeilen, Buchtitel. Am besten ist es, wenn die Überschrift auch von jenen verstanden wird, die die Anspielung nicht erkennen. Beispiele: „Der gute Ton“ (Süddeutsche Zeitung über Römertöpfe aus Ton) oder „Land und Beute“ (Süddeutsche Zeitung über Korruption in der Zentralafrikanischen Republik)
  5. Reim oder Stabreim, etwa „Heideduft steigt in die Luft“ (Nordkurier) oder „Wind, Wetter, Wellen“ (fitundschoen.de).

Lockende Überschriften verlangen Fantasie und Kreativität. Man muss sie hin- und herüberlegen, einiges ausprobieren, mit Kollegen diskutieren, vielleicht auch ein wenig herumalbern. Aber gelungene lockende Überschriften machen dem Leser genauso viel Spaß wie dem Redakteur.

In Teil 2 des Beitrags erfahren Sie, warum ein guter Vorspann den Leser auf die Folter spannen sollte.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Markus ReiterMarkus Reiter ist Schreibtrainer für Redaktionen und Unternehmen. Zudem berät er Verlage und Redaktionen beim Launch und Relaunch von Zeitungen, Zeitschriften und Online-Auftritten. Er war unter anderem Reporter und stellvertretender Chefredakteur von Reader’s Digest Deutschland und Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Reiter arbeitet als Dozent in der Aus- und Weiterbildung von Journalisten an mehreren Journalisten-Akademien, für das Deutsche Journalistenkolleg ist er als Autor tätig.

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