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Überschrift – Vorspann – Bildunterschrift: Kleine Texte ganz groß (Teil 2)

Der Vorspann – den Leser auf die Folter spannen

Viele Autoren verschenken Aufmerksamkeit für ihren Text, weil sie zu wenig Wert auf die Kleintexte legen, also auf Überschrift, Vorspann und Bildunterschrift. Überschrift und Vorspann haben zwei ähnliche Funktionen:

  1. Sie informieren den Leser über das Thema und die zentrale These des Artikels.
  2. Sie machen den Leser neugierig auf den Artikel.

Die Überschrift wurde in Teil 1 dieser dreiteiligen Artikelserie behandelt. Hier geht es jetzt um den Vorspann.

Man kann sich das mit dem Vorspann wie ein Coming-out vorstellen. Ganz offensichtlich hat man dabei seinem Gesprächspartner etwas Wichtiges mitzuteilen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man platzt mit den wichtigsten Informationen ohne jede Vorwarnung heraus oder man spannt den Empfänger der Botschaft auf die Folter. Schauen wir uns die beiden Möglichkeiten einmal etwas näher an.

Der nachrichtliche Vorspann

Ein Herausplatzen mit den wichtigsten Informationen könnte so aussehen: „Mama, ich bin schwul! Ich lebe seit zwei Jahren mit einem Mann in seiner Wohnung zusammen. Er ist Polizist. Wir lieben uns und wir wollen in vier Wochen heiraten!“ Damit sind alle entscheidenden Fragen beantwortet. Im Journalismus spricht man von den W-Fragen: Was? Wann? Wo? Wer? Warum? Vorspänne und Teaser, die so aufgebaut sind, heißen nachrichtlich. Sie werden oft auch als Lead bezeichnet.

Nachrichtliche Vorspänne haben ihre Berechtigung. Sie ersparen dem Leser die Mühe, für die entscheidenden Informationen den ganzen Text lesen zu müssen. Sie spannen ihn nicht auf die Folter. Sie sind deshalb bei nachrichtlichen Darstellungsformen (Bericht, Meldung) oft angebracht, zumal diese dem Schema der umgekehrten Nachrichtenpyramide folgen. Auch bei Breaking News greift man am besten zum nachrichtlichen Vorspann. Hier ein Beispiel: „Ford hat am Standort Köln wie angekündigt die Produktion seines Kleinwagens Fiesta gedrosselt. Seit Montag wird in den Ford-Werken in der Domstadt kurzgearbeitet, wie eine Ford-Sprecherin am Dienstag bestätigte“ (automobil-produktion.de am 14. Oktober 2014). Alle W-Fragen sind hier beantwortet: Wer? Ford. Wo? Am Standort Köln. Was? Produktion gedrosselt. Wann? Seit Montag. Welche Quelle? Eine Ford-Sprecherin. Nur die Frage „Warum?“ wird erst im Artikel beantwortet.

Der lockende Vorspann

Man kann sein Coming-out aber auch anders ankündigen, etwa so: „Mama. Ich muss Dir etwas Wichtiges sagen. Eigentlich plane ich das schon seit Jahren. Du wirst vermutlich zunächst schockiert sein …“ Hier wird der Empfänger der Botschaft auf die Folter gespannt. Man spielt mit seinen Emotionen und seiner Neugier. Im Journalismus erhöht das den Anreiz, den Artikel zu lesen. Im Internet macht sich das bei den Klickraten bemerkbar, beispielsweise beim sehr erfolgreichen Internetportal Heftig.co: „Sie hat ganz besondere Haushaltshelfer. Wüsste ihr Mann davon, wäre er garantiert sauer.“ Oder: „Er liegt entspannt in einer Hängematte. Wenn du siehst, was er als nächstes tut, bleibt dir die Spucke weg.“

Man kann den lockenden Vorspann in fünf Typen einteilen:

  1. Nutzwertversprechen. Hier wird dem Leser klargemacht: Wenn du den folgenden Artikel liest, wirst du dein Leben besser, schöner, angenehmer, effizienter etc. gestalten können. Beispiel: „Viele Ärzte kümmern sich aus Zeitmangel nicht um ihre Versicherungen. Sollten sie aber, denn viele Policen braucht man nicht. A&W-Autor Claus Cory nennt die 15 entbehrlichsten Policen“ (das Arzt-Portal auw.de). Natürlich werden dem Leser nicht schon im Vorspann die Tipps verraten. Um sie zu erfahren, muss er den Artikel lesen.
  2. Cliffhanger. Er ist die Königsform des Neugier erweckenden Vorspanns. Beispiel: „Donner, Blitze, Starkregen ‒ es ist ein merkwürdiger Sommer in Deutschland. An der Ostsee bleiben die Tagesgäste aus, an der Nordsee bibbern die Strandurlauber. Auch für die kommenden Tage verheißt Tief ‚Otto‘ herbstliches Wetter. Manche Küstenurlauber wissen sich trotzdem zu helfen“ (Spiegel online). An diesem Teaser kann man gut den Aufbau eines Cliffhangers erkennen. Er besteht aus drei Elementen:
    • dem Aufmerksamkeitshascher, der die Aufmerksamkeit des Lesers erregt („Donner, Blitze, Starkregen …“).
    • der faktischen Verortung, bei der der Leser erfährt, um was es in dem Text geht („An der Ostsee …“).
    • der Rampe. Sie ist der eigentliche Cliffhanger. Ein interessanter Aspekt wird angedeutet, aber nicht aufgeklärt („Manche Küstenurlauber …“ – der Leser erfährt hier noch nicht, wie sich die Urlauber zu helfen wissen).

    Der Cliffhanger funktioniert auch bei Fachportalen: „Wenn der Schaber und das Austragsystem bei der Schmelze-Filtration neu gestaltet werden, lässt sich dabei die Leistungsfähigkeit von Schmelze-Filtriersystemen erhöhen. Und es gibt einen zusätzlichen Vorteil.“

  3. Geschichte im Kleinen. Diese Vorspannform lehnt sich an den nachrichtlichen Vorspann an. Eigentlich wird dem Leser bereits alles verraten. Wenn aber der Vorspann sehr knapp gehalten wird, bleibt noch genügend Spielraum für die Neugier des Lesers. Ein Beispiel: „Erdbeerjoghurt schmeckt nach Erdbeeren und Tomatensoße nach Tomaten – doch in den Produkten finden sich höchstens Spuren von Früchten und Gemüse“ (br.de). Alles gesagt, doch interessant genug.
  4. Paradoxon. Im Vorspann wird ein Widerspruch aufgebaut. Der Leser kann hoffen, dass dieser im Artikel aufgelöst wird. Beispiel: „Die Lebensversicherung war lange die beliebteste Sparanlage der Deutschen, doch inzwischen steckt sie in der Krise. Sparern wirft sie zu wenig Zinsen ab, und auch für viele Versicherer ist sie nicht mehr lukrativ genug. Dennoch will die Politik sie retten“ (deutschlandfunk.de).
  5. Appetithappen. Hier wird der Leser mit zahlreichen Triggerwords, also Lockbegriffen, neugierig gemacht. Die Hoffnung des Autors: Bei mindestens einem der Triggerwords wird der Leser schon anbeißen. Wie hier bei Focus.de: Unter der Überschrift „Halsweh, Kopfschmerzen, Fieber – So harmlos fängt Ebola an“ folgt der Teaser: „Der Hals kratzt, der Magen rumort, das Thermometer zeigt Fieber an – typische Symptome einer Erkältung oder eines Magen-Darm-Infektes. Allerdings beginnt auch eine Infektion mit dem tödlichen Ebola-Virus mit solchen Beschwerden.“ Die Triggerwords sind: Halsweh, Kopfschmerzen, Fieber, tödlich und Ebola-Virus.

Drei Regeln für den Vorspann

Für alle Arten von Vorspann gelten einige Regeln, die es dem Leser leichter machen, sofort zu erfassen, um was es geht – unabhängig davon, ob er neugierig gemacht oder kurz informiert werden soll:

  1. Ein Vorspann darf nicht verrätselt sein. Der Leser muss auf jeden Fall das Thema des Artikels erkennen können. Ungeeignet wäre deshalb so etwas: „Viel Hand wird an die Haut gelegt als Hülle zwischen Innen und Außen. Es regieren Nadel, Klinge, Laser, Farbe, Silikon und Geld. Längst sind Manipulationen am Körper nicht nur rituelle Praktiken von Stammeskulturen und gesellschaftlichen Außenseitern. Auch in unserer Gesellschaft wollen viele mittels schmerzhafter Veränderungen am eigenen Körper ihr Selbst optimieren“ (wdr.de).
  2. Ein Vorspann sollte hinreichend kurz sein. Je länger er wird, desto größer ist die Gefahr, dass der Autor oder der Leser den Atem verliert. 250 bis maximal 300 Zeichen sind eine gute Länge.
  3. Ein Vorspann sollte in klaren, einfachen Worten und kurzen Sätzen formuliert sein. Er darf nicht mit Daten, Zahlen und Fakten überfrachtet werden.

Wer diese Regeln berücksichtigt, der formuliert für seine Leser eine Einladung in seinen Text. In diesem Sinne ist ein guter Vorspann weniger ein „Coming-out“ als ein herzliches „Come in!“

Im dritten Teil des Beitrags über journalistische Kleintexte erfahren Sie, was eine gute Bildunterschrift kennzeichnet.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Markus ReiterMarkus Reiter ist Schreibtrainer für Redaktionen und Unternehmen. Zudem berät er Verlage und Redaktionen beim Launch und Relaunch von Zeitungen, Zeitschriften und Online-Auftritten. Er war unter anderem Reporter und stellvertretender Chefredakteur von Reader’s Digest Deutschland und Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Reiter arbeitet als Dozent in der Aus- und Weiterbildung von Journalisten an mehreren Journalisten-Akademien, für das Deutsche Journalistenkolleg ist er als Autor tätig.

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