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Filmkritik zu „The French Dispatch“: Aus Nostalgie zur Narration

Wes Anderson huldigt mit „The French Dispatch“ den goldenen Zeiten des Wochenmagazins The New Yorker und einem Journalismus, der ihn kreativ prägte.

„Lassen Sie es so wirken, als hätten Sie es bewusst so geschrieben.“ Diese stilistische Anweisung erteilt Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) seinen MitarbeiterInnen im Verlauf von „The French Dispatch“ mehrfach, stets mit väterlich anmutender Strenge und mit der Absicht, sie daran zu erinnern, was das Medium, bei dem sie tätig sind, schließlich ausmacht: die distinktive Schreibe seiner RedakteurInnen.

Howitzer Jr. ist Chefredakteur und Herausgeber von The French Dispatch, dem fiktionalen Auslands-Supplement der ebenfalls fiktionalen Wochenzeitung Liberty, Kansas Evening Sun. Der Redaktionssitz des mit Kunst, Kultur und Gesellschaft befassten Ergänzungsteils ist im erdachten französischen Örtchen Ennui-sur-Blasé (in typisch augenzwinkernder Wes-Anderson-Manier benannt), das wie eine kleinere und schmuddeligere Version von Paris in den 1960er-Jahren anmuten soll. Von diesem Standort aus trägt The French Dispatch seit 1925 die regionalen Geschehnisse nach Kansas und ganz Amerika – bis zum Jahr 1975, das mit dem Tod von Howitzer Jr. auch das Ende des Magazins besiegeln und damit den anthologischen Plot dieses Films rahmen soll.

Bill Murray in THE FRENCH DISPATCH.  © The Walt Disney Company (Germany)

Aus Liebe zum New Yorker

Als Film über JournalistInnen, die ihm „etwas bedeutet haben“, beschreibt Regisseur Wes Anderson „The French Dispatch“ im Interview mit dem US-amerikanischen Wochenmagazin The New Yorker. Diversen SchreiberInnen ebendieser seit 1925 erscheinenden Publikation ist sein aktueller Film gewidmet. Anderson, heute bekannt für seine originellen, bis ins feinste Detail ausgestatteten Filme mit hoher Wiedererkennbarkeit (zuletzt „Grand Budapest Hotel“), begann als 16-Jähriger in seiner High-School-Bibliothek in Houston, Texas, den New Yorker zu lesen. Dabei sprachen ihn zuallererst die Filmkritiken von Pauline Kael und die abgedruckten Kurzgeschichten dieses Magazins an, später aber auch zunehmend die ausladenden Reportagen. Andersons Wertschätzung für den New Yorker reicht so weit, dass er als Erwachsener gar versuchte, das Gesamtarchiv des Magazins zu erwerben – vergeblich.

Zumindest konnte er aber mit „The French Dispatch“ nun sein Vorhaben umsetzen, eines Tages einen Film über den New Yorker zu drehen. Dies kombinierte er mit zwei anderen lang gehegten Wünschen: der Realisierung eines „French Movie“, das vor Referenzen Richtung Nouvelle Vague strotzt, und eines Anthologie-Films. Und so folgt auf die umrahmende Einführung, die durch das bonbonfarbene Innere des mehrstöckigen French Dispatch-Redaktionsgebäudes samt Druckerei führt, die kurze Heranführung an Ennui-sur-Blasé durch den radelnden Reisereporter Herbsaint Sazerac (Owen Wilson) und schließlich das anthologische Herzstück dieses Films: die Schilderung dreier Reportage-Episoden, die den Werken und AutorInnen des New Yorker nachempfunden sind.

Vom treuen Magazin-Leser zum Magazin-Filmemacher

„Das Beton-Meisterwerk“, „Korrekturen eines Manifests“ und „Das private Esszimmer des Polizeichefs“ heißen diese Episoden. Sie stellen wohlgemerkt keine investigativen Reportagen dar, die enthüllen oder anprangern. Stattdessen fokussieren die drei Storys „Human Interest“-Themen und leben von der feinen Beobachtung, einprägsamen Vermittlung und schließlich sinnstiftenden Interpretation der jeweiligen Geschehnisse. In diese sind die ReporterInnen des French Dispatch irritierenderweise stärker verwickelt, als es das Gebot der journalistischen Neutralität und Distanz eigentlich zulässt.

So lässt Kunstkritikerin J.K.L. Berensen (Tilda Swinton) bei ihrem biografischen Stück über den verurteilten Mörder, Gefängnisinsassen und Künstler Moses Rosenthal (Benicio del Toro) ganz nonchalant ein paar Sätze zu ihrer Affäre mit ebendiesem sowie zu einem sexuellen Übergriff durch diesen einfließen. Vom Podium der Veranstaltung einer Kunststiftung aus trägt Berensen ihre Erzählung vor, die schließlich als Stimme aus dem Off das bewegte, vornehmlich in schwarz-weiß gedrehte Insassendasein von Rosenthaler schildert. Es geht um dessen Liaison mit seiner Muse und Wärterin Simone (Léa Seydoux), seine Vereinnahmung durch den gaunerischen Kunsthändler Julien Cadazio (Adrien Brody) und schließlich die folgenreiche Vollendung seines Meisterwerks. Es ist eine Geschichte nach Wes-Anderson-Manier: voller kauziger Figuren, skurriler Details, absurder Wendungen und mit einem Schuss Melancholie über die Begrenztheit künstlerischer und menschlicher Erfahrung.

Anders als bei Wes Andersons vorangegangenen Filmen rückt bei „The French Dispatch“ aber nun die Frage in den Mittelpunkt, wie die Rezeption der New Yorker-Reportagen und -Kritiken wohl diesen besonderen Blick, diesen unverwechselbaren filmischen Erzählstil des Autor-Regisseurs generell geprägt haben mag. Insbesondere am mittleren Teil des Films, der Reportage-Episode „Korrekturen eines Manifests“, lassen sich mögliche Wechselwirkungen zwischen den Texten des New Yorker und Wes Andersons filmischem Wirken ablesen: Die Reporterin Lucinda Krementz (Frances McDormand) befasst sich hier mit den Studentenrevolten in Ennui und deren selbst ernanntem Anführer Zeffirelli (Timothée Chalamet). Doch anstatt den Aufstand der Jugendlichen aus der Distanz zu dokumentieren und einzuordnen, korrigiert Lucinda bald Zeffirellis stümperhaftes Manifest und geht eine kurzlebige Affäre mit ihm ein.

Dies entspricht wohl keineswegs der Arbeitsweise der kanadischen Schriftstellerin Mavis Gallant (das reale Vorbild für Lucinda Krementz), die im Mai und September 1968 die Studentenunruhen in Paris für den New Yorker beschrieb. In Andersons Erläuterung zu „Korrekturen eines Manifests“ wird dennoch deutlich, welchen Kern der realen Vorlage er treffen wollte: „Wir wollten einen Filmpart über eine Art Jugendbewegung machen und ich mochte Gallants Stimme in diesen Stücken, weil sie von einem anderen Ort und aus einer anderen Generation kommt und doch mehr als nur journalistisches Interesse an dem hat, was sie tun. Sie hat eine gewisse Ironie, sie sieht das Absurde und sie vermischt das alles miteinander und bringt Bewunderung für sie auf.“ Interessanterweise lässt sich dieser Befund über den Stil Gallants – die Vermischung von Ironie und Absurdität aus einer zeitlichen und örtlichen Distanz – zugleich auch für viele Werke Wes Andersons anbringen, denen immer eine gewisse Nostalgie und Überhöhung etwas längst Vergangenem oder persönlich Imaginiertem anhaftet.

Elisabeth Moss, Owen Wilson, Tilda Swinton, Fisher Stevens and Griffin Dunne in THE FRENCH DISPATCH. © The Walt Disney Company (Germany)

Nostalgie für die Narration

Dieser Eindruck wird durch die dritte und letzte Reportage-Episode „Das private Esszimmer des Polizeichefs“ noch verstärkt: Der afroamerikanische Literatur- und Kulinarik-Kritiker Roebuck Wright (Jeffrey Wright) erzählt in einem Fernsehstudio seine liebste Reportage nach. Eigentlich hatte er lediglich eine Kritik über den begnadeten Polizeikoch Nescaffier (Stephen Park) schreiben wollen, erlebte dann aber plötzlich mit, wie Gigi, der Sohn des Polizeichefs entführt und die dafür verantwortliche Verbrecherbande gestellt wurde.

Es ist eine etwas langwierige, ins schon ermüdend Absurde abdriftende Episode innerhalb von „The French Dispatch“, die schließlich in animierten, dem französischen Comic huldigenden Sequenzen kulminiert. Doch die Figur Roebuck Wright ist in erster Linie vom Schriftsteller und Kulturkritiker James Baldwin inspiriert, der auch für The New Yorker schrieb und dem Regisseur Raoul Peck vor fünf Jahren das grandiose Doku-Denkmal „I Am Not Your Negro“ gesetzt hat. Wrights distinguierter Redestil und seine Erzählung, die schließlich auch sein besonderes Außenseitertum als schwarzer Homosexueller in Ennui streift, interpretieren die Nachwirkung von Baldwins Essays auf ganz eigene, sensible Weise und fügen sich in diesen so hermetisch-künstlichen Erzählkosmos von „The French Dispatch“ als im Kern vielleicht wahrhaftigste Elemente ein.

Kein sauberer Journalismus, aber ein nachwirkender

Nichtsdestotrotz: Wenn hier von Journalistenfilmen die Rede ist, muss angemerkt sein, dass die in „The French Dispatch“ dargestellten ReporterInnen einen kaum wahrhaften, sondern eher einen ins Fabulierende übergleitenden narrativen Journalismus praktizieren. Zudem greift Anderson im Fall der Figuren Berensen und Krementz leider auch zum sexistischen Stereotyp der mit dem Subjekt ihrer Berichterstattung schlafenden Journalistinnen und muss sich entsprechende Vorwürfe zu Recht gefallen lassen.

Doch wenn das Werk „The French Dispatch“ auch keinen prinzipientreuen Journalismus zeigt, so kann man ihm zugestehen, ein Film über die wertschätzende Rezeption eines inspirierenden, rührenden und kreativ nachwirkenden Journalismus zu sein. Einen solchen hat The New Yorker einst dank begnadeter (und gut bezahlter) ReporterInnen geboten, wenn auch in einem gesellschaftlichen Klima, das Wahrhaftigkeit weniger hinterfragt hat. Während das fiktive Supplement French Dispatch 1975 und zum Abschluss des Films ein Ende findet, erscheint The New Yorker glücklicherweise, wenn auch in inhaltlich veränderter Form, weiterhin und kann solche Huldigungen an längst vergangene Zeiten dankbar entgegennehmen.

The French Dispatch
USA, Deutschland, Frankreich 2021. 103 Min.
Regie und Drehbuch: Wes Anderson
Kamera: Robert D. Yeoman
Besetzung: Benicio del Toro, Adrien Brody, Tilda Swinton, Léa Seydoux, Frances McDormand, Timothée Chalamet

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=NCqxlUXblJ8&ab_channel=20thCenturyStudiosDE

 

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Dobrila Kontić hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK) studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin, Film- und Serienkritikerin in Berlin.

 

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