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Serienkritik zu „Die Newsreader“: Contenance in bewegten Zeiten

Die australische Serie „Die Newsreader“ überzeugt mit wohlausgearbeiteten Figuren und ungeschönter Reflexion über die Berichterstattung der 1980er-Jahre.

Eine Reihe spannender Momente hat die australische Serie Die Newsreader zu bieten, aber die faszinierendsten ereignen sich, wenn Nachrichtensprecherin Helen Norville (Anna Torv) bei Außendrehs oder im Studio in die Fernsehkamera blickt und die soeben noch durchlebten privaten Ängste, das körperliche Unwohlsein, der auf ihr lastende Druck und Stress ihrem Gesichtsausdruck plötzlich entweichen und darin nichts außer unerschütterlicher Contenance zu lesen ist. „Nur wenn sich die Kamera auf eine bestimmte Art von Mensch richtet, fühlt sich der Zuschauer sicher“, erklärt Lindsay Cunningham (William McInnes), der cholerische Chef der Nachrichtenredaktion, Helens Talent dem aufstrebenden Jungreporter Dale Jennings (Sam Reid). Dabei bleibt ihm verborgen, was für ein Mensch Helen tatsächlich ist.

In einer Dekade des Wandels

Die Handlung der ersten Staffel von Die Newsreader erstreckt sich über das erste Quartal des Jahres 1986. Der Plot zeigt die Arbeit in der TV-Redaktion der fiktiven Nachrichtensendung „News at Six“ eines privaten Fernsehsenders in Melbourne. Unter der harschen Führung von Lindsay, der stets auf die Einschaltquoten schielt, arbeitet hier ein kleines Team an der täglichen Zusammenstellung der Fernsehnachrichten. Präsentiert werden sie schließlich von einem ungleichen Moderationsduo: Geoff Walters (Robert Taylor) ist ein erfahrener Journalist und Nachrichtensprecher, der auf eine 30-jährige Karriere zurückblicken könnte, wenn er sich denn zur Ruhe setzen wollte. An seine Seite wurde ihm vor einiger Zeit die jüngere Helen Norville gestellt, die nach Auftritten in Spielshows in das seriösere TV-Fach gewechselt ist und der Sendung seitdem Quotensprünge beschert.

„The Newsreader“: Ungeschönter Blick auf die australische Fernsehwelt und Gesellschaft der Achtzigerjahre: Helen Norville (Anna Torv) und Geoff Walters (Robert Taylor) sind die Stars der fiktiven Nachrichtensendung „News at Six“. Bild: Arte F / © Ben King

Showrunner Michael Lucas konnte sich für diese Konstellation an der Realität orientieren, denn tatsächlich wurden Moderatorinnen im australischen Fernsehen der 1980er-Jahre zunehmend präsenter. Die Bekannteste unter ihnen dürfte die renommierte TV-Journalistin Jana Wendt sein, die als Rechercheurin beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ABC begann, ab 1982 als Reporterin beim Nachrichtenmagazin „60 Minutes“ und später als Moderatorin von „A Current Affair“ zu sehen war. Der Plot von Die Newsreader richtet den Blick noch genauer auf diese „Ära des Wandels“, wie Michael Lucas sie nennt, und verhehlt dabei keineswegs, dass trotz dieser Zunahme weiblicher Präsenz vor der Kamera der Alltag hinter den Kulissen weiterhin von Sexismus und Chauvinismus geprägt war.

Zwischen Aufbruch, Umbruch und Zusammenbruch

So will sich Helen mit dem Sprechakt vor der Kamera keineswegs zufriedengeben, sondern dringt bei Lindsay darauf, die Sendung mitzugestalten und eigene Beiträge hierfür zu produzieren. Gleich in der ersten Episode haben die beiden darüber einen lautstarken Streit, der die Redaktionsmitglieder nicht einmal mehr aufzucken lässt. Lindsay stört sich an den Themen, die Helen in die Sendung bringen will, etwa die Perspektive der Aborigines auf bestimmte Ereignisse oder die sich in Australien zunehmend ausbreitende AIDS-Epidemie. Kurzerhand stellt er ihr den ehrgeizigen Dale zur Seite, der sie als Produzent für Sonderbeiträge in Richtung seichterer Themen bewegen und „in die Schranken weisen“ soll.

Bald darauf lernt Dale die in der Redaktion als schwierig geltende Helen näher kennen und erlebt sie als Kollegin, die für gesellschaftliche Themen von Relevanz brennt und über alle Maßen engagiert ist. Ihre Erfahrungen als Moderatorin teilt Helen bereitwillig mit Dale, der in ebendiese Richtung strebt. Zugleich entgeht ihm nicht, dass sie mit Angstzuständen zu kämpfen hat und diese mit Schlaftabletten zu lindern versucht. Es ist nicht nur der Stress bei ihrer Arbeit, der ihre Psyche belastet, sondern auch der spezifische Druck, der auf ihr als Frau vor der Kamera lastet: So ist sie zwar einerseits Quotengarantin, deren Fanscharen sich telefonisch in der Redaktion beschweren, wenn Geoff einmal ohne sie moderiert. Die Telefone klingeln aber auch, wenn die Zuschauer*innen Helen für zu „aufgetakelt“ halten oder meinen, sie habe zugenommen – Unverschämtheiten, die ihr Kollege Geoff selbstverständlich nicht ertragen muss.

Helen ist nicht die einzige Frau in der Redaktion, die die Sendung aktiver mitgestalten will: Da wäre noch die junge Noelene Kim (Michelle Lim Davidson), die vor drei Jahren als „Mädchen für alles“ eingestellt wurde, inzwischen aber hauptsächlich als Rechercheurin tätig ist, für Beiträge Fakten prüft, in Papier-Archiven nach den benötigten Informationen blättert und die Texte für den Teleprompter vorbereitet. Nichtsdestotrotz wird sie von Geoff und zeitweise auch vom Sportredakteur Rob Richards (Stephen Peacocke) weiterhin wie eine Assistentin behandelt, die ihnen Erfrischungen aus der Cafeteria bringen oder ihre Reden für private Feierlichkeiten abtippen soll. Noelene hat koreanische Wurzeln, was die meisten ihrer Kollegen nicht wissen. Aufgrund ihres Aussehens erwarten sie aber, dass sie „mal eben“ etwas aus dem Japanischen übersetzen könnte.

Das gesellschaftliche Klima bestimmt die Art der Berichterstattung

Um die Arbeitsatmosphäre in einem TV-Newsroom jener Zeit treffend darstellen zu können, sprach Michael Lucas bei der Entwicklung seiner Serienidee mit Menschen, die diese Ära selbst erlebt haben und Auskunft zum grassierenden Sexismus, Rassismus sowie zur Homophobie gaben. Dabei bilde Die Newsreader noch eine abgemilderte Version dieses Umgangs ab, erklärt Lucas: „Bei solchen Dingen geht man immer auf dem schmalen Grat zwischen dem Wunsch, die Realität offen darzustellen, und dem Wunsch, die Zuschauer nicht zu traumatisieren.“ Statt auf die explizite Darstellung von Diskriminierung zu setzen, wählt Die Newsreader einen weitaus interessanteren und geschickteren Ansatz: Ähnlich wie in der US-Serie The Newsroom werden reale Nachrichtenereignisse aus dem Jahr 1986 (wie das Challenger-Unglück oder die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl) geschickt in die Handlung eingeflochten. Dabei offenbart sich die Wechselwirkung zwischen dem sich im Redaktionsalltag widerspiegelnden gesellschaftlichen Klima und der Art der Berichterstattung.

Dies wird im Kleineren deutlich, als etwa die damalige Verlobung des Windsor-Prinzen Andrew mit Sarah „Fergie“ Ferguson öffentlich wird. Die Ideensammlung für „News at Six“-Beiträge hierüber läuft gleich in die Richtung, eine Rivalität zwischen Fergie und Diana, Princess of Wales, aufzubauen.

Im Größeren wird diese Art der Wechselwirkung zwischen der Art der Berichterstattung und dem gesellschaftlichen Klima deutlich, als „News at Six“ sich nach Helens Drängen doch endlich dem Thema AIDS widmet. Nachdem Dale eine alleinerziehende Mutter interviewt, die sich über eine Bluttransfusion mit HIV infiziert hat, lässt sich Lindsay im Schnittraum darüber aus, dass dieses Thema zu „niederschmetternd“ für das Publikum sei, bis er auf die vermeintlich rettende Idee kommt: Der Beitrag wird auf die These zugespitzt, dass Homosexuelle die Blutbanken „verseuchten“. Kurz nach Ausstrahlung des Beitrags versammelt sich eine zu Recht erzürnte Gruppe von Protestierenden vor dem Redaktionsgebäude. Helens Versuch, diese auf Unterstellungen und Faktenfehlern basierende Berichterstattung durch ein Live-Interview mit einem schwulen, von HIV betroffenen Paar geradezubiegen, endet in einem von Lindsay beklatschten Fiasko – die Homophobie jener Zeit ist sowohl in der damaligen Gesellschaft als auch in ihrer Redaktion zu tief verankert.

Ein authentisches Abbild der Zeit

Die Newsreader erarbeitet sich diese bedeutsamen Betrachtungen jener Zeit mit der sorgsamen Gestaltung seiner Figuren, der vorhandenen Dynamik zwischen ihnen und nicht zuletzt der bemerkenswerten Darstellung von Zeitkolorit. So setzte das Team um Regisseurin Emma Freeman (bekannt für ihre empfehlenswerte Netflix-Serie Stateless) und Kameramann Earle Dresner auf eine möglichst authentische Darstellung der 1980er-Jahre: „Viele Filme haben erfolgreich eine moderne Version einer vergangenen Epoche geschaffen. Die andere Seite des Spektrums ist, einen Look zu entwerfen, der sich anfühlt, als wäre die Serie in den 1980er-Jahren gedreht worden“, erklärt Dresner, der bei seiner Kameraarbeit unter anderem auf Vintage-Linsen aus dieser Epoche zurückgriff und damit der Serie ein leicht körniges, an TV-Aufnahmen damaliger Zeit erinnerndes Erscheinungsbild verliehen hat. Mit dieser Hingabe zum Detail gelingt Die Newsreader das Kunststück, wie eine Serie zu wirken, die nicht nur die 1980er-Jahre interpretiert, sondern tief in deren Zeitgeist eingebettet ist – und dieser wurde von der Art der Berichterstattung wesentlich mitbestimmt.

Die Newsreader ist ab dem 02. Februar 2023 donnerstags auf Arte zu sehen und bis zum 09. Mai 2023 in der Mediathek verfügbar.

Die Newsreader
(Originaltitel: The Newsreader)
Australien 2021. Staffel 1: 6 Episoden à 53 Min.
Showrunner: Michael Lucas. Regie: Emma Freeman
Kamera: Earle Dresner
Besetzung: Anna Torv, Robert Taylor, Sam Reid, William McInnes, Marg Downey, Stephen Peacocke, Chai Hansen, Michelle Lim Davidson, Chum Ehelepola,

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)

Die Autorin Dobrila Kontić hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK) studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin, Film- und Serienkritikerin in Berlin.

 

 

 

Kommentare
  1. Valerie sagt:

    Wieder mal eine sehr lesenswerte Kritik liebe Dobrila. Die Newsreader stehen auf der Watchliste. Grüße, Valerie