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Serienkritik zu „Enemy of the People“: Stoisch durch den Shitstorm

Die finnische Serie Enemy of the People ist ein spannender Reportage-Krimi, der sich zugleich eindrücklich dem Journalistinnen entgegengebrachten Online-Hass widmet.

Irgendwann vernimmt man die in der Serie Enemy of the People wiederholt eingeblendeten verbalen Entgleisungen nur noch als Hintergrundrauschen. Ähnlich ergeht es an diesem Punkt scheinbar auch der Journalistin Katja Salonen (Kreeta Salminen), die zur Zielscheibe sexistischer und misogyner Anfeindungen in den sozialen Medien geworden ist. Der Auslöser dafür ist, so rekonstruiert es die erste Episode mit Rückblenden, ein Artikel Katjas über den Profisportler und Millionär Samuli Tolonen (Jussi Partanen). Dieser ist ein ehemaliger Fußballer, dessen Karriere in seiner Heimat Tampere (und dem Handlungsort dieser Serie) begann, der drittgrößten Stadt Finnlands. Obwohl Tolonen seinen Hauptwohnsitz inzwischen in Barcelona hat und seine Profi-Karriere seit etwa einem Jahrzehnt beendet ist, gilt er noch immer als lokaler Held – weshalb Katjas kritischer Artikel zu seinen angeblichen Millionen-Investition in die noch immer nicht umgesetzte Erneuerung des örtlichen Stadions einen Shitstorm sondergleichen erntet.

Investigative Außenseiterin

Hinzu kommt, dass Katja als Neuankömmling in der Stadt Tampere eine Außenseiterin ist: Bis vor Kurzem hat sie noch bei einer Redaktion in Helsinki gearbeitet, musste aber ihre Stelle wegen Einsparungen räumen. Daraufhin heuerte Katja bei Tamperes (fiktivem) Lokalblatt Aamusanomat (dt. „Morgennachrichten“) an und fand eine Unterkunft bei Janika (Anna Böhm), einer Redakteurin der Zeitung. Die Redaktionsräumlichkeiten des Aamusanomat muten mit ihrer gläsernen Luftigkeit und modernen Newsroom-Ausstattung sehr dynamisch an, aber sehr bald eckt Katja mit ihrem investigativen Ehrgeiz im etwas verschlafenen Betrieb an. So wirft ihr der Redakteur Sami (Johannes Holopainen) gleich nach dem Erscheinen des Artikels über Tolonen vor, doch eh nichts von Fußball zu verstehen. Und auch Chefredakteur Juha (Mikko Nousiainen) ist nicht glücklich über die negative Aufmerksamkeit, die Katjas Artikel der Tageszeitung eingebracht hat.

Um die Sache wieder auszubügeln, soll Katja anschließend Pekka Välimaa (Tobias Zilliacus), den Bürgermeister von Tampere, zum Stadion befragen. Dieser gibt sich im Interview jovial, fordert sie aber nach ihren hartnäckigen Nachfragen zur Stadion-Finanzierung auf, das Tonbandgerät kurz auszuschalten. „Ist Ihnen bewusst, in welches Wespennest Sie da gestochen haben?“, lautet die rhetorische Frage, die er mit einem kalten Lächeln und eindringlichem Blick vorträgt. Im Aanusanomat erscheint am kommenden Tag zu Katjas Verdruss eine harmlose Version des Interviews. Doch sie erhält einen Anruf von Tolonen, der ihr ein Gespräch über seine Sicht auf den ausbleibenden Stadion-Umbau anbietet. Kurze Zeit später ist er tot.

Männerbund tut Wahrheit nicht kund

Ungewöhnlich an dieser Plotausarbeitung wirkt, dass bereits am Ende der ersten Folge gezeigt wird, wie Bürgermeister Välimaa eigenhändig Tolonen in dessen Villa in Barcelona ermordet. Statt ein klassisches „Whodunit?“ zu erzählen, zeigt Enemy of the People also im weiteren Verlauf, wie Katja durch ihre Recherchen schrittweise der Wahrheit um Tolonens Tod näher kommt und zugleich ein größeres Komplott ansteuert, das auch das Motiv Välimaas birgt. Das Drehbuch von Laura Suhonen und Timo Varpio treibt die weitere Handlung trotz des reißerischen Drehs um einen mordenden Bürgermeister etwas nuancierter voran und kreiert einen Reportage-Krimi, der dem Publikum die Komplexität des „Warum?“ auf spannende Weise darlegt.

Denn bei ihren mühsamen Recherchen stellt Katja fest, dass alle Spuren der Geldflüsse des finanzierten, aber nicht realisierten Stadion-Umbaus zu einem Korruptionsgeflecht führen, in das unter anderem Bürgermeister Välimaa, der Bauunternehmer Kimmo Rantakari (Tomi Salmela), der Pharma-Millionär Janne Eskola (Lari Halme) und zu allem Übel auch noch Jarkko Niemi (Jyrki Mänttäri), der Polizeichef von Tampere, verwickelt sind. Es ist ein Männerbund, so wird bald deutlich, der von grenzenloser Gier und dem übersteigerten Geltungsbedürfnis jedes Einzelnen getragen wird – alles unterfüttert von den Gewinnversprechen des zwielichtigen Unternehmers Kristian Laine (Antti Luusuaniemi), der alsbald seine Kryptowährung „VersoCoin“ auf den Markt bringen will. Katjas rege und kritische Berichterstattung zum verzögerten Stadionumbau und zu den Gewinnversprechen von VersoCoin stößt diesen Männern auf, weshalb sie zu allen Mitteln frauenfeindlicher Online-Hetze, zu konkreten Drohungen und zu Aktionen zur Rufschädigung greifen, um sie zum Schweigen zu bringen.

Frauenhass im Gleichberechtigungsparadies

Dass sich ausgerechnet eine finnische Serie mit sexistischem Online-Hass auf eine Journalistin auseinandersetzt, mag verwundern – gilt Finnland doch, neben anderen skandinavischen Ländern, als Vorbild in Sachen Gleichberechtigung. Doch wie beispielsweise ein Artikel des Standard darlegt, gibt es diverse Hinweise, dass gerade die fortgeschrittene Emanzipation in den nordischen Ländern zunehmend Frauenhass nach sich zieht, der sich dann häufig online entlädt. Hinzu kommt, dass bei der global feststellbaren Gewalt gegen Medienschaffende vor allem Journalistinnen betroffen sind, wie mehrere Studien belegen. Diese sind online häufiger sexistischen Diffamierungen, Gewaltandrohungen und Beleidigungen ausgesetzt. Aus jüngerer Zeit ist gar konkret ein finnischer Fall bekannt: Die Journalistin Jessikka Aro, die für den öffentlich-rechtlichen Sender Yleisradio über pro-russische Trollnetzwerke berichtete, war daraufhin massivem Cybermobbing ausgesetzt und konnte 2018 die Verurteilung zweier gegen sie hetzender Männer erwirken.

Finnische Thriller-Serie mit Realitätsbezug: Die Journalistin Katja Salonen (Kreeta Salminen) wird während einer investigativer Recherchen online beschimpft und bedroht. Foto: Markus Kontiainen.

Diese unerfreulichen gegenwärtigen Entwicklungen greift die Serie Enemy of the People eindrucksvoll auf. Die verletzenden bis widerwärtigen Kommentare in den sozialen Medien begleiten stets Katjas Berichterstattung. Hinzu kommen die zielgerichteten, ebenfalls sexistischen Drohungen aus dem Kreis von Kristian Laine und dessen Kumpanen. Dabei überzeugt die Serie zudem mit der Zeichnung ihrer Protagonistin, die der ihr entgegengebrachte Hass keineswegs kaltlässt, aber die ihre journalistische Ambition, die Wahrheit ans Licht zu bringen und Antworten auf drängende Fragen zu liefern, unbeirrt weiterverfolgt. Damit gewinnt sie schließlich sogar das Vertrauen von Chefredakteur Juha – ebenfalls ein Freund des Bürgermeisters – in ihre Fähigkeiten. Das Autorenteam hinter der Serie tappt zugleich niemals in die Falle, seine Journalistinnenfigur übermäßig zu idealisieren oder zu stereotypisieren, sondern verleiht ihr menschliche Unzulänglichkeiten, die sie dennoch nicht unprofessionell oder unfähig erscheinen lassen. Eine erfrischende Abweichung von den von Klischees dominierten Frauendarstellungen in Journalistenfilmen der vergangenen Jahre, etwa in Der Fall Richard Jewell.

Ein Plädoyer für das „Trotzdem“

Katja als fehlerhafte, aber dennoch in ihrem journalistischen Ethos unbeirrbare Journalistin ragt zudem interessanterweise aus dem Kreis der Mitarbeitenden in einer Redaktion hervor, die in Teilen aus recht arglosen bis fast gänzlich resignierten Kolleg*innen zu bestehen scheint. So will ihre Mitbewohnerin und Kollegin Janika noch lange daran glauben, dass die Kryptowährung VersoCoin ihre fulminanten Versprechen halten kann: „Manchmal passieren auch Dinge, die vielleicht tatsächlich erfreulich sind. Wir brauchen auch solche Nachrichten“, erklärt sie Katja, die bis dahin schon einiges an gegenteiligen Indizien gesammelt hat. Ihr gemeinsamer Kollege Sami hingegen erinnert Katja wiederholt daran, dass im schnelllebigen News-Geschäft alle Artikel ohnehin rasch vergessen sind: „Unser Job ist es, das Monster zu füttern, das Fakten schluckt und Clickbaits scheißt.“

In diesen Momenten scheint Enemy of the People den Verdruss in Redaktionen über das hohe Misstrauen der (Nicht-)Leserschaft gegenüber den sogenannten „Systemmedien“ und die als Folge drohende Resignation unter Berichterstattenden aufzugreifen. Die Stärke der Serie ist, dass sich selbst im Moment des Triumphs das Bild von Medienschaffenden in der Öffentlichkeit nicht endgültig zum Guten wendet, sondern die Lügenvorwürfe nicht abklingen und die Zweifel bei Katja und ihren Kolleg*innen bleiben: Lässt sich mit investigativer Berichterstattung noch irgendetwas bewegen? Interessiert sich irgendwer noch für die Wahrheit? Die Antwort kommt einem Schulterzucken gleich, aber weitergemacht wird trotzdem. Und dies passt ausgesprochen gut zur fokussierten Gefasstheit dieser Serie.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)

Enemy of the People
(Originaltitel: Kansan Vihollinen)
Finnland, 2022. 1 Staffel, 8 Episoden
Regie: Mikko Kuparinen. Drehbuch: Laura Suhonen, Timo Varpio
Kamera: Mikael Gustafsson
Besetzung: Kreeta Salminen, Tobias Zilliacus, Johannes Holopainen, Antti Luusuaniemi, Mikko Nousiainen, Anna Böhm, Raül Tortosa
Die Serie ist auf den Streamingdiensten Joyn+ und Prime Video verfügbar, ist als Download bei Amazon, Google Play und iTunes zu erwerben sowie seit 14.7. als DVD erhältlich.

Die Autorin Dobrila Kontić hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK) studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin, Film- und Serienkritikerin in Berlin.

 

 

Kommentare
  1. Valerie sagt:

    Liebe Dobrila,

    wie immer treffend beschrieben und ich hab die Serie an einem regnerischen Wochenende gleich mal durchgebingt.

    Grüße
    Valerie

  2. nappy sagt:

    Gute Serie, guter Plot, gute Darstellung.
    Aber die Vertonung („Musik“ möchte ich das nicht nennen) lässt schwer zu wünschen übrig, denn es sind oft nur Töne, die sich anhören als hätte man Tinnitus. Und mit den Fingern in den Ohren verpasste ich so manchen Dialog.