Serienkritik zu „The Morning Show“: Die Macht am Morgen
The Morning Show befasst sich gegenwartsnah und deutungsreich mit dem, was hinter der heilen Fassade amerikanischer Frühstückssendungen abläuft.
„Wer ist gestorben?“ wird Chip Black (Mark Duplass), Produzent der Morgensendung „The Morning Show“ (kurz: „TMS“) gefragt, als er versucht, das Moderationsteam der Sendung in der Früh telefonisch wachzuklingeln. Früh heißt in diesem Fall: vor 3:30 Uhr, dem Zeitpunkt, an dem Alex Levy (Jennifer Aniston) und Mitch Kessler (Steve Carell) für gewöhnlich aufstehen, um ihre Moderation im New Yorker Fernsehstudio vorzubereiten. Und tatsächlich hat Chip einen Tod zu verkünden, wenn auch nur einen medialer Art: Nach 15 Jahren als Moderator der Sendung wird Mitch fristlos entlassen, wegen sexuellen Fehlverhaltens am Arbeitsplatz. Seine Co-Moderatorin Alex ist fassungslos, galten die beiden doch für das US-amerikanische Publikum als perfektes TV-Ehepaar, das sie in ihrer Sendung spaßig in den Tag geleitete. Dementsprechend macht Mitchs Entlassung Alex zur ratlosen Witwe, die an diesem schicksalsträchtigen Tag die Botschaft in der Livesendung verkünden und dabei ihre Fassung wahren muss. Schließlich ist ihr eigener Status als Moderatorin nun auch in Gefahr.
Hinter den Kulissen einer Millionen-Maschinerie
Es ist schon bemerkenswert, dass der Apple-Konzern seinen Streaming-Service 2019 ausgerechnet mit The Morning Show launchte – einer Serie, die sich im Kern mit dem Medium Fernsehen befasst, das durch Streaming immer obsoleter wird. Doch Brian Stelters Buch „Top of the Morning: Inside the Cutthroat World of Morning TV“ (2013), das dieser Serie als Inspiration diente, hebt hervor, welchen Stellenwert das sogenannte Frühstücksfernsehen noch immer in den USA hat: „Während das Internet die Abendnachrichten auf den Kopf gestellt hat und On-Demand-Dienste wie Netflix weiterhin die Hauptsendezeit stören, sind die Morgensendungen nach wie vor ein Bereich in der Fernsehbranche, in dem das Geschäftsmodell noch wirklich funktioniert, zumindest im Moment.“ Aktuell erreicht in den USA die Show „Good Morning America“ (vom Sender ABC) eine Zuschauerschaft von knapp drei Millionen täglich, dicht gefolgt vom langjährigen Konkurrenten „Today“ (NBC), der den Quotenkampf am Morgen einst anführte.
Diese Dominanz der morgendlichen Infotainment-Sendungen, erläutert Medienjournalist Stelter, führe zu jährlichen Werbeerlösen im neunstelligen Bereich, die quasi die restliche Nachrichtendivision der Sender querfinanzieren. Hinter den Kulissen hat aber ebendiese Macht am Morgen Stelter zufolge eine toxische Arbeitsatmosphäre geschaffen, die sich in hohem Druck, intensivem Gerangel, internem Fehlverhalten und weit auseinanderklaffenden Gehältern äußert. So verdient das Produktionsteam der Morgensendungen weitaus weniger als die moderierenden Multimillionär*innen vor der Kamera. Diese müssen wiederum ständig um ihre regelmäßig abgefragten Beliebtheitswerte beim Publikum bangen, die darüber entscheiden, ob ihre Verträge verlängert werden.
Stelters Buch bietet schon eine hinreichende Menge an Stoff, um eine Serie über das Machtgerangel am Morgen zu kreieren. Doch kurz nachdem The Morning Show 2017 beauftragt wurde, überschlugen sich die Ereignisse in der Medien- und Entertainmentwelt: Der Missbrauchsskandal um Harvey Weinstein trat die #MeToo-Bewegung los, die schließlich auch zur Entlassung des „Today“-Moderators Matt Lauer wegen „unangemessenen sexuellen Verhaltens“ führte. Diese Entwicklungen griff das Team hinter The Morning Show auf und verwendete ganz realitätsnah die #MeToo-Thematik als Aufhänger für ihre Serie, die sich umfassend mit der Brüchigkeit hinter der heilen Frühstückssendungen-Fassade befasst.
Fall eines Machtmenschen, Aufstieg einer Idealistin
Die erste Staffel von The Morning Show zeigt, wie die bis dato erfolgreiche Morgensendung durch die skandalträchtigen Enthüllungen um Mitch in einen Schlingerkurs gerät, den nur noch solides Krisenmanagement stabilisieren kann. Während Alex allein vor der Kamera versucht, das Publikum über den Zusammenbruch ihrer Fernsehfamilie hinwegzutrösten, lässt sie sich nach der Sendung von einem siebenköpfigen Public-Relations-Team beraten, wie sie mit diesem Skandal, der auch Fragen zu ihrer Mitwisserschaft aufwirft, umgehen soll. Zugleich gerät von der ersten Episode an die Außenreporterin Bradley Jackson (Reese Witherspoon) aus Virginia ins Blickfeld. Als Verfechterin für seriösen Journalismus und Hard News hat Bradley für Infotainment, wie es Alex‘ Sendung bietet, rein gar nichts übrig.
Aber schon bald sollen sich die Wege der beiden ungleichen Frauen kreuzen: Als Bradley und ihr Kamerateam den Dreh zu einem kritischen Bericht über die Wiedereröffnung einer Kohlenmine vorbereiten, werden sie von einem jungen Mann angegriffen, den Bradley vor Ort wütend und effektiv maßregelt. Handy-Videos von ihrem Wutanfall gehen viral und nur wenige Tage später findet sich Bradley als geladener Gast im Gespräch mit Alex wieder. Alex hält Bradleys Idealismus und ihr Eintreten für ehrlichen, aufrichtigen Journalismus für gespielt. Nichtsdestotrotz wird sie wenige Tage später bei der Verleihung eines Journalistenpreises spontan Bradley zu ihrer künftigen Co-Moderatorin erklären. Es ist das Ergebnis eines Machtkampfes, den Alex hinter den Kulissen mit Cory Ellison (großartig gewieft: Billy Crudup), dem CEO (Chief Executive Officer) der UBS-Nachrichtendivision, geführt hat.
Energie und Chaos
The Morning Show entwickelt sich in der Folge zum multiperspektivischen Drama, das eine Reihe von Aspekten aus dem Bereich Infotainment-Produktion behandelt. Im Laufe der konfliktreichen Zusammenarbeit zwischen Alex und Bradley wird etwa über die Relevanzkriterien für die Themen der Sendung debattiert. Bradley wünscht sich einen höheren Nachrichtenanteil in der Sendung, muss hier aber angesichts des aufbauend-fröhlichen Tonfalls, dem sich „TMS“ verschrieben hat, wiederholt klein beigeben. Unterdessen sieht sich Mitch als Opfer einer vermeintlichen Cancel-Kultur und versucht, gegen die Vorwürfe des sexuellen Fehlverhaltens anzukämpfen. Dabei rückt die Serie sehr geschickt die Dimensionen von Grenzüberschreitungen und Machtmissbrauch in den Vordergrund, die die Atmosphäre am Arbeitsplatz von „TMS“ über Jahre geformt haben. Und schließlich wird auch das Krisenmanagement des Senders UBS genau beleuchtet, das die Männer in den Chefetagen viel mehr dazu nutzen wollen, ihre eigenen Positionen zu sichern, als die Arbeitskultur nachhaltig zu verbessern.
Tapfer manövriert sich The Morning Show durch all diese zusammenhängenden Erzählstränge. Dabei bleibt die Serie energiegeladen und unterhaltsam, obgleich sie immer wieder droht, durch die thematische Fülle, das hohe Figurenaufgebot und das porträtierte Chaos der Livesendungen die erzählerische Balance zu verlieren. Das Ende der ersten, wendungsreichen Staffel wird von einem mit sehr viel Verve inszenierten Finale besiegelt, das zwar unglaubwürdig, aber fesselnd ist.
Mut zum Gegenwartsbezug
Was man dieser Serie trotz der gelegentlichen Überladenheit zugutehalten muss, ist ihre generelle Unerschrockenheit hinsichtlich des Einbezugs aktueller und disruptiver Ereignisse und Entwicklungen. Dabei ergeben sich natürlich Parallelen zu Aaron Sorkins Drama-Serie The Newsroom (2012 – 2014), die die dort fokussierte Handlung um eine Nachrichtensendung zwei Jahre zurückversetzte, um den journalistisch vorbildlichen Umgang mit realen Nachrichtenereignissen durchzuspielen. Doch das Produktions- und Drehbuchteam hinter The Morning Show wagt mehr: Es widmet sich real nachwirkenden Themenkomplexen mitsamt allen Fallstricken. In der ersten Staffel ist es das weite Feld der #MeToo-Bewegung, des Sexismus, der Cancel-Kultur und der Machtverhältnisse, das seit 2017 den Diskurs um toxische Arbeitsverhältnisse auch innerhalb von Medienunternehmen bestimmt.
Während der Produktion der zweiten Staffel fiel den Macher*innen ein weiteres Thema vor die Füße und in die Hände, das man nicht ignorieren wollte: Nachdem im März 2020 der nur kurz zuvor begonnene Dreh aufgrund von Corona-Schutzmaßnahmen unterbrochen werden musste, wurde kurzfristig beschlossen, die globale Pandemie in den Plot einfließen zu lassen. Die 2021 erschienene Staffel zwei spielt im Zeitraum von Januar bis März 2020 und zeigt, wie das Produktionsteam hinter „TMS“ den Nachrichtenwert von Covid-19 wiederholt unterschätzt und sich erst spät entschließt, warnende Beiträge über das Virus in die Sendung zu bringen – kurz bevor auch dessen eigenes Studio vorübergehend geschlossen werden muss. Die Regisseurin und ausführende Produzentin Mimi Leder sprach 2021 mit Variety über ihre Herangehensweise bei der Plot-Integration dieser realen Entwicklungen: „Uns war wichtig, die Geschichte der Anfänge von Covid so zu erzählen, wie wir sie sahen. Wir wollten nicht in eine Kristallkugel schauen und sagen: ,Wo wird es landen?‘ Wir wollten keine Vermutungen anstellen. Und hier sind wir nun, immer noch mittendrin. Es war wirklich interessant, denn die Medien haben es bei Weitem nicht erfasst.“
So lauert das Virus im Verlauf der zweiten Staffel lange unbeachtet im Hintergrund, während sich in der Redaktion von „TMS“ Unmut über Diskriminierung, fehlende Diversität und mangelnde Repräsentation vor allem bei Personalfragen verbreitet. Dabei sind sowohl Alex als auch Bradley aufgrund persönlicher und beruflicher Entwicklungen angehalten, über Fragen zu ihrer Identität und Authentizität neu nachzudenken. Das ist mitunter etwas mühsam anzuschauen, entwickelt sich dann aber recht aufschlussreich.
Fazit
In ihrer Gesamtheit offenbart sich The Morning Show als etwas unrunde, aber spannungsreiche und immer wieder überraschende Serie, die mit kuriosen bis realitätsfernen Wendungen nicht spart, aber auch interessante Deutungen zu schwer fassbaren Gegenwartskomplexen zu bieten hat. Damit bleibt diese Produktion unerwartet fesselnd und unberechenbar und lässt der dritten Staffel mit einiger Erwartung entgegenblicken.
The Morning Show
USA, seit 2019 beim Streamingdienst Apple TV+
Bislang 2 Staffeln à 10 Episoden
Inspiriert von Brian Stelters Sachbuch „Top of the Morning: Inside the Cutthroat World of Morning TV“
Idee: Jay Carson. Showrunnerin: Kerry Ehrin
Kamera: Michael Grady, David Lanzenberg
Besetzung: Jennifer Aniston, Reese Witherspoon, Billy Crudup, Steve Carell, Mark Duplass, Nestor Carbonell, Karen Pittman
Illustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)
Die Autorin Dobrila Kontić hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK) studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin, Film- und Serienkritikerin in Berlin.