Urban Journalism Salon: „Von Angesicht zu Angesicht“
Am 1. August vergangenen Jahres fand im Lehrter Bahnhof in Berlin die Premiere des ersten „Urban Journalism Salon“ statt. Die Idee dahinter: Journalisten und ihr Publikum sollen gemeinsam ein erlebbares Magazin gestalten. Was es mit dieser innovativen Form des partizipativen Journalismus auf sich hat, welche Lehren aus der ersten Veranstaltung gezogen wurden und wann und wo der zweite Urban Journalism Salon über die Bühne gehen wird, verrät einer der Veranstalter, der freie Journalist Mark Heywinkel, im Gespräch mit dem Fachjournalist.
Herr Heywinkel, gibt es schon konkrete Pläne für den nächsten Urban Journalism Salon?
Der nächste Urban Journalism Salon wird voraussichtlich im Mai in Hamburg stattfinden – dann zum Thema Reise-/Auslandsjournalismus. Aber das ist alles noch etwas vage, wir befinden uns gerade noch in Gesprächen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, in diesem Jahr vier Veranstaltungen in großen deutschen Städten zu organisieren. Für Hamburg, Stuttgart und München bestehen bereits konkrete Pläne.
Was waren die wichtigsten Erkenntnisse der Auftaktveranstaltung im vergangenen August?
Die erste Veranstaltung war ein Testballon, wir wollten alles ausprobieren, was ging. Das hat man auch an der Bandbreite der Themen gesehen, die reichten vom Gaza-Konflikt bis hin zur Flüchtlingspolitik in Deutschland. Wir haben im Anschluss eine Umfrage unter den Gästen gemacht: Dabei kam unter anderem heraus, dass die Teilnehmer einen spezielleren Zuschnitt wünschen. Wir werden deshalb künftig eine monothematische Ausrichtung verfolgen, daher auch der Fokus auf das Thema Reise-/Auslandsjournalismus beim zweiten Salon.
Was wollen Sie sonst noch ändern?
Die Veranstaltung muss noch stärker durchchoreografiert werden, der schreibende Journalist ist meistens nicht der beste Performer. Daher muss der Ablauf der Veranstaltung beim nächsten Mal mit einer Regiebetreuung besser durchgeplant werden.
Der Urban Journalism Salon will Journalismus auf die Bühne bringen. Welche Inspirationsquellen gibt es für Ihr Format?
Vorbilder sind eindeutig die Poetry Slams, auch Lesungen und Konzerte, eigentlich alle unterhaltenden Events. Wir haben uns gefragt, warum das immer nur Künstler machen und keine Journalisten. Die Intention, die dahintersteckt, ist die Überzeugung, dass der öffentliche Diskurs sehr schlecht über die Kommentarspalten digitaler Medien geführt werden kann. Wenn ich mir große Onlinemedien wie „Spiegel Online“ oder „Süddeutsche.de“ anschaue, dann macht sich bei mir Ernüchterung breit. Die Diskussionen geraten schnell polemisch, über das Stammtischniveau geht es selten hinaus. Wir Initiatoren des Urban Journalism Salon (Anm. d. Red.: Rabea Edel, Jens Twiehaus und Eva Schulz) glauben daran, dass man sich am besten unterhalten kann, wenn man sich von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht – daher unser Versuch mit Urban Journalism.
Wie innovativ ist ihr Format? Gibt es Interaktivität mit dem Publikum nicht bereits bei anderen Formaten wie zum Beispiel Podiumsdiskussionen?
Bei den meisten Veranstaltungen wird bisher nur am Rande versucht, das Publikum einzubeziehen. Letztlich sieht es doch meistens so aus, dass ein Programm auf der Bühne veranstaltet wird und das Publikum am Schluss vielleicht noch zehn Minuten Zeit hat, um Fragen zu stellen. Wir wollen ein Gleichgewicht schaffen, sodass sich beide Parteien auf Augenhöhe begegnen und beide Seiten annähernd gleichberechtig zum Gelingen der Veranstaltung beitragen.
Onlinemedien versuchen seit geraumer Zeit, die Leser verstärkt einzubinden. Beispielsweise können die User von „Süddeutsche.de“ der Redaktion Themen für die Recherche vorschlagen, die „WAZ„-Mediengruppe bietet einen ähnlichen Service an, Leserreporter werden von verschiedenen Zeitungen – online wie offline – gesucht. Was halten Sie davon?
Grundsätzlich finde ich es großartig, dass digitale Medien unterschiedliche Interaktionsmöglichkeiten anbieten. Die Frage ist nur: Wollen die Leser das auch? Es gibt bisher keine einzige Studie, die bestätigt, dass Interaktion vom Publikum in Form von Blogs oder Votingtools tatsächlich gewünscht ist. Was häufig stattfindet, ist eine sehr aggressive Diskussion über einzelne Themen, die so im echten Leben, zum Beispiel bei einer Veranstaltung, nicht stattfinden würde. Oder haben Sie schon mal erlebt, dass ein Podiumsteilnehmer drastisch beschimpft wurde? Vielen ist nicht bewusst, dass sie recht schnell verletzend sind im Internet – das betrifft sowohl das Publikum als auch Journalisten. Dem Vertrauensverlust von Medien, den man an der Pegida-Diskussion gut beobachten kann, muss entgegengewirkt werden – das kann erst recht nicht in den Kommentarspalten der Online-Medien geschehen. Da muss man zusammenkommen und gemeinsam miteinander reden.
Matthias Müller von Blumencron (Anm. d. Red.: Chefredakteur von faz.net) hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass Journalisten mehr Moderatoren werden müssen als nur Meinungsdiktatoren. Würden Sie dem zustimmen?
Auf jeden Fall. Journalisten können heute keine Meinungs- und Wissenshoheit glaubhaft machen. Heutzutage kann jeder mit wenigen Klicks nachprüfen, ob der Journalist auch die Wahrheit geschrieben hat. Dem müssen sich Journalisten noch mehr bewusst werden, und das auch nach außen tragen. Sie müssen sich präsentieren als Menschen, die auch nicht alles wissen. Am besten funktioniert auch das auf der Bühne, wo sich Journalisten hinstellen und ihre Themen unmittelbar zur Diskussion stellen können – das ist eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance.
2014 wurden viele journalistische Projekte durch Crowdfunding finanziert. Ist diese Art der Finanzierung auch für ihr Format denkbar?
Die vielen Crowdfunding-Projekte, die es im vergangenen Jahr gab, tragen zu einer Euphorie in der Branche bei. Das macht Mut und sorgt für Aufbruchsstimmung. Als Finanzierungmöglichkeit für unser Format sehe ich Crowdfunding jedoch eher nicht. Crowdfunding ist leider keine sichere Einnahmequelle, es mangelt dabei oft an Nachhaltigkeit, das kann man derzeit gut bei den Krautreportern beobachten. Zwar konnte das Projekt 900.000 Euro einsammeln, aber ob es auch darüber hinaus finanziert werden kann, ist noch nicht geklärt. Wir bemühen uns daher momentan um eine Art von Native Advertising auf der Bühne. Der Gedanke dahinter ist, dass größere Unternehmen aktiv in das Bühnenprogramm des Urban Journalism Salon eingebunden werden können. Wir wollen zu monothematischen Veranstaltungen, wie etwa zum Thema Reisejournalismus, einen Partner wie die TUI gewinnen, der sich dann in einem anspruchsvollen journalistischen Rahmen präsentieren kann.
Fürchten Sie da nicht um ihre Unabhängigkeit?
Dieser Punkt spielt in unseren Überlegungen eine große Rolle. Welchen Handlungsspielraum wir Unternehmen auf der Bühne gewähren wollen, steht noch nicht fest. Sicher ist aber, dass sich sämtliche Partner auch kritische Seitenhiebe gefallen lassen müssen. Es soll ehrlich zugehen in unserem Salon. Das ist ohne Frage ein Vabanquespiel, aber wir wollen eine sichere finanzielle Basis. Und man darf nicht vergessen, dass andere Finanzierungsarten ebenfalls problematisch sind. Crowdfunding ist beispielsweise eine extreme Art der Abhängigkeit vom Publikum, die auch zum Verhängnis führen kann, wenn man die Erwartungen des Publikums nicht erfüllt. Dann kann anfängliche Begeisterung ganz schnell in Häme umschlagen und ein Projekt kaputt machen.
Ein Blick voraus: Was wollen Sie mit Ihrem Format erreichen?
Wir werden nicht den Journalismus retten. Es geht darum, Journalisten und ihr Publikum zusammenzubringen und gemeinsam einen Teil dazu beizutragen, dass Journalismus auch in Zukunft qualitativ hochwertig ist.
Herr Heywinkel, vielen Dank für das Gespräch.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Mark Heywinkel arbeitet als freier Journalist mit den Themenschwerpunkten Kultur und Medien in Berlin. Seit April 2014 ist er zudem Redaktionsleiter von „Vocer“. Das „Medium Magazin“ hat Heywinkel im vergangenen Jahr unter die “Top 30 bis 30″-Journalisten des Jahres gewählt. Zusammen mit Rabea Edel, Jens Twiehaus und Eva Schulz organisiert er den „Urban Journalism Salon„.
[…] JOUNALISMUS Fachjournalist: Urban Journalism Salon – “Von Angesicht zu Angesicht”: Am 1. August 2014 war ich bei der durchwachsenen Premiere des ersten “Urban Journalism Salon” in Berlin. Die Idee überzeugte und das Team um den freien Journalisten Mark Heywinkel arbeitet schon an der nächsten Ausgabe und Ablegern für verschiedene Städte. Im Interview mit Felix Fischaleck erklärt Heywinkel, was es mit dieser innovativen Form des partizipativen Journalismus auf sich hat, welche Lehren aus der ersten Veranstaltung gezogen wurden und wann und wo der zweite Urban Journalism Salon stattfindet. […]